McDermid, Val
sie, und beide
wären beinahe gestürzt. »Was ist denn los?«, fragte Denise.
Pippa antwortete nicht. Sie
zeigte nur auf das nasse Bündel, das in einer Senke neben der Straße lag. Trotz
der Tüte, die das eine Ende des schmutzigen Stoffs bedeckte, konnte kein
Zweifel bestehen, dass es die Überreste eines Menschen waren. Nie wieder würden
ihre Freitage unbeschwert sein.
Paula nahm sich einen Becher
von dem Kaffee, den irgendjemand umsichtigerweise gekocht hatte, und setzte
sich hinter ihren Schreibtisch. Obwohl es erst halb zehn war und die Chefin die
Besprechung auf zehn verschoben hatte, war das ganze Team schon versammelt.
Zumindest vermutete sie, dass Stacey hier war. Die Batterie von Monitoren war
so effektiv aufgetürmt, dass man sie kaum sehen konnte. Aber das leise Klicken
und Klappern von Maus und Tasten zeigten an, dass Stacey bereits an der Arbeit
war. Wie gewöhnlich. Paula fragte sich manchmal, ob die Computerspezialistin
überhaupt jemals nach Hause ging. Oder ob sie überhaupt ein Zuhause hatte, in
das sie zurückkehren konnte. Paula hatte noch nie mit jemandem
zusammengearbeitet, der so heimlichtuerisch war wie Stacey. Aus dem einen oder
anderen Grund war sie schon einmal bei allen Gruppenmitgliedern zu Hause gewesen,
nur nicht bei Stacey. Dabei war sie nicht unfreundlich. Nur von einem anderen
Planeten. Obwohl Paula in letzter Zeit meinte, sie hätte Anzeichen
wahrgenommen, dass Stacey Sam gegenüber ein bisschen auftaute. Nichts Dramatisches.
Nur dass sie ihm gelegentlich einen Tee oder Kaffee machte und tatsächlich
freiwillig Auskunft gab, wo er war oder womit er vielleicht gerade beschäftigt
sein könnte. Was sie in Bezug auf alle anderen niemals tat.
Aber Paula rief sich ins
Gedächtnis, dass es heute Morgen Wichtigeres zu bedenken gab als das
Privatleben ihrer Kollegin. Jede Polizeiwache, auf der sie je gearbeitet
hatte, war eine Brutstätte für Tratsch gewesen. Es war, als müsste die Unerquicklichkeit
des größten Teils der Arbeit ausgeglichen werden mit einer hemmungslosen
Neugier auf alle eventuellen Geheimnisse aller anderen am Arbeitsplatz. Die
überhitzte Phantasie schlug über die Stränge, vielleicht weil sie als Ermittler
sich so streng an nüchterne Tatsachen halten mussten. Sie schaltete ihren
Computer an, aber bevor sie nachsehen konnte, ob über Nacht weitere
Fortschritte gemeldet worden waren, setzte sich Sam Evans, gerade zurückgekehrt
aus dem Lake District, auf die Ecke ihres Schreibtischs. Er kam ihr ein wenig
zu nah, nahm etwas von ihrem persönlichen Raum in Anspruch. Männer taten das
unbewusst, um Frauen herabzusetzen, dachte sie. Um uns in die Defensive zu
drängen. Aber bei Sam machte ihr das nie etwas aus. Er war einer der wenigen
Männer, die in Gegenwart von Lesben vollkommen entspannt blieben. Es war nichts
Bedrohliches an seiner Nähe. Wenn Paula ehrlich war, mochte sie Sam. Sie
wusste, dass er schamlos ehrgeizig war, immer auf seinen eigenen Vorteil aus.
Was sie amüsierte, war, dass er meinte, niemand außer der Chefin sei ihm auf
die Schliche gekommen. Und wenn man die Schwächen eines Menschen kannte, war es
leicht, sie zu umgehen. Sie mochte Sams schnellen Verstand. Und merkwürdigerweise
mochte sie, wie er roch. Sein Rasierwasser war würzig, mit einer Spur Limone, aber
es löschte seinen natürlichen männlichen Geruch nicht völlig aus. Paula gefiel
sonst eher der Duft bestimmter Frauen, aber Sam war eine seltene Ausnahme, und
sie wusste, dass sie das anfälliger für seinen Charme machte.
»So, so«, meinte er.
»Besprechung um zehn, mitten in einer wichtigen Mordermittlung. Was ist los mit
der Chefin?« Paula verzog das Gesicht. »Keine Ahnung. Ich nehme an, dass sie
das Einsatzzentrum im Bezirk Nord über Daniel Morrison unterrichtet und mit
dem Bezirk Mitte über die Suche nach Seth Viner gesprochen hat.«
Sam schüttelte den Kopf. »Sie
war um halb neun in Nord. Hat die Aktionen von heute festgelegt und war um zehn
vor neun wieder aus der Tür. Meine Spione sagen mir, sie war noch nicht in
Mitte.«
Kevin hörte ganz offen mit. »Und
gestern Vormittag stand sie auf der Vermisstenliste. Als ich vom Tatort aus
anrief, war sie nicht hier.« Er ging, um sich Kaffee nachzufüllen, und kam dann
zu Paula und Sam herüber. »Wo war sie?«, fragte Paula.
»Weiß ich nicht. Aber sie
brauchte eine Weile, bis sie dort ankam. Also nirgends in der unmittelbaren
Nachbarschaft.«
»Und gestern Abend war sie
ebenfalls nicht da«, berichtete Sam.
»Doch,
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