McDermid, Val
heiraten wollten, sich als Feigling ohne Rückgrat erweisen würde?
In dem Augenblick, als der Kerl sein Messer zückte, wurde Eddie, butterweich.
Er bot ihm seine Brieftasche an und bat ihn, uns in Frieden zu lassen. Er
weinte. Können Sie das fassen? Tränen liefen ihm übers Gesicht und Rotz, wie
bei einem kleinen Jungen. Er war erbärmlich. Und der Scheißkerl hat es förmlich
genossen. Er lachte Eddie aus.« Sie hielt inne. Ihr linker Fuß wippte zu einem
inneren Rhythmus auf und ab, und das glänzende Leder schimmerte im Licht. »Er
verlangte meinen Schmuck, meinen Verlobungsring, ein goldenes Armband, das
Eddie mir geschenkt hatte. Da trat ich ihm gegen das Schienbein, und in dem
Moment ging er auf Eddie los. Er stach auf ihn ein und rannte dann weg.«
»Haben Sie sich Vorwürfe
deswegen gemacht?«, fragte Carol, obwohl sie wusste, wie die Antwort lauten
würde. »Mir Vorwürfe machen? Ich war es doch nicht, der vor dem Dreckskerl auf
den Knien gekrochen ist. Ich war diejenige, die für uns eingetreten ist, so wie
Eddie es hätte tun sollen. Er war ein Feigling, und der Straßenräuber wusste
das. Er ging nicht auf mich los, weil er wusste, das würde ich mir nicht
gefallen lassen. Alles, was ich mir vorwerfe, ist, dass ich nicht gemerkt habe,
was für ein Schlappschwanz Eddie wirklich war.« Ihre Worte trieften vor
Verachtung, wie Blut vom Messer eines Schlächters.
»Warum hat Eddie die Firma
verkauft und die Stadt verlassen?«
»Er schämte sich. Dank der
Zeitung wussten alle, dass er nicht für sich selbst eingestanden war. Und auch
für mich nicht. Er wurde ausgelacht. Der großartige Geschäftsmann, der sich
nicht gegen einen Handtaschenräuber am Abend zu wehren weiß. Er konnte die
Schande nicht ertragen. Und ich hatte inzwischen schon Schluss mit ihm gemacht,
also gab es nichts, was ihn hier hielt.«
»Sie haben Schluss gemacht?
Während er im Krankenhaus lag?«
Vanessa schien ungerührt. »Warum
sollte ich noch lange warten? Er war nicht der Mann, für den ich ihn gehalten
hatte. So einfach war das.«
Ihr skrupelloser Egoismus
machte einen fassungslos, dachte Carol. Sie konnte sich nichts vorstellen, das
Vanessas Glauben an sich selbst erschüttern konnte. Es war ein Wunder, dass
Tony einigermaßen davongekommen war. »Niemand wurde wegen der Sache verhaftet«,
stellte Carol fest. »Nein, ihr wart ja damals schon die gleichen Versager wie
heute. Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass sie sich sehr große Mühe gaben.
Wenn er versucht hätte, mich zu vergewaltigen, hätten sie vielleicht Interesse
aufgebracht. Aber in ihren Augen war Eddie nur ein schäbiger Kapitalist, der
sich nicht verteidigen konnte und bekam, was er verdient hatte.« Carol fragte
sich, ob sie das glauben sollte. In den weniger gewalttätigen sechziger Jahren
hätte die Polizei einen solchen Überfall ernst genommen, selbst wenn es
Klassendifferenzen gegeben hätte, was aber andererseits nicht zu Alan Miles' Darstellung
von Eddie als eines erfolgreichen einheimischen Jungen passte. Aber Vanessas
Version lieferte Carol ein Argument, sie zu treffen, und sie konnte nicht
widerstehen. »Sie haben ihnen keine Beschreibung gegeben, mit der sie etwas
anfangen konnten.«
Vanessa hob die Augenbrauen.
»Es war ja dunkel. Und er lief weg. Er klang wie ein Einheimischer. Sie müssten
doch nun wirklich wissen, wie wenig ein Zeuge tatsächlich sieht, wenn er
angegriffen wird.«
Da hatte sie recht. Aber
andererseits sahen Schlauberger wie Vanessa gewöhnlich trotzdem recht viel.
»Warum haben Sie Tony niemals die Wahrheit gesagt? Warum ließen Sie ihn im
Glauben, dass Eddies Weggang etwas mit ihm zu tun hatte?«
»Ich habe keine Kontrolle
darüber, was mein Sohn glauben möchte«, entgegnete Vanessa abweisend. »Sie hätten
ihm die ganze Geschichte erzählen können.« Sie hob die Mundwinkel zu einem
kalten, boshaften Lächeln. »Ich wollte ihn vor der Wahrheit schützen. Ich
wollte nicht, dass er wusste, wie armselig sein Vater war. Erstens weil er sich
nicht einem Kerl entgegenstellen konnte, der wahrscheinlich genauso große
Angst hatte wie er selbst. Und zweitens weil er sich so wenig daraus machte,
was die Leute von ihm hielten, dass er floh, statt für sich einzustehen. Meinen
Sie etwa, es hätte Tony geholfen, zu wissen, dass sein Vater ein feiger Hund
war? Dass er von einem Mann verlassen wurde, gegen den sich der Löwe im Zauberer von Oz wie ein Held ausnimmt?«
»Ich glaube, es wäre
hilfreicher gewesen, als mit dem Gedanken
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