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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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der Abgase hing ein Geruch von frischem Grün in der Luft, vielleicht vom gemähten Krankenhausrasen, vielleicht auch von den jungen Bäumen am Flußufer. Die Sonne strahlte, doch noch war es angenehm kühl. Seit Tagen, wenn nicht seit Wochen, hatte sie etwas derart Schönes weder gesehen noch gespürt. Sie verbrachte einfach zuviel Zeit im Haus und atmete zuviel Desinfektionsmittel ein. Als sie sich umdrehte, hätte sie fast zwei junge Offiziere gestreift, Ärzte vom Militärkrankenhaus in der Millbank, die an ihr vorübergingen und ihr freundlich zulächelten. Automatisch senkte sie den Kopf, bedauerte aber sofort, nicht wenigstens ihren Blicken standgehalten zu haben. Die beiden Männer entfernten sich, schlenderten über die Brücke und schienen sich ausschließlich für ihr Gespräch zu interessieren und alles andere um sich herum vergessen zu haben. Einer tat, als griffe er nach oben in ein Regal und suchte etwas; sein Kamerad lachte. In der Mitte der Brücke blieben sie stehen und bewunderten ein Kanonenboot, das unter der Brücke hindurchglitt. Briony dachte, wie lebensfroh und gelöst die beiden Ärzte doch wirkten, und wünschte sich, sie hätte ihr Lächeln erwidert. Offenbar gab es da die ein oder andere Seite an ihr, die sie völlig vergessen hatte. Aber sie war spät dran, und sie mußte sich sputen, trotz der Schuhe, die vorn an den Zehen drückten. Hier, auf dem fleckigen, ungebohnerten Pflaster, besaß die Order von Stationsschwester Drummond keine Geltung. Kein Feuer und kein Blutsturz, doch was für ein herrliches, körperliches Vergnügen, eine Kostprobe der Freiheit, in Uniform und gestärkter Schürze so schnell wie nur irgend möglich zum Krankenhauseingang hinüberzurennen.
    I m Krankenhaus begann eine drückende Zeit des Wartens. Nur die gelbsuchtkranken Matrosen waren geblieben. Unter den Schwestern erregten sie allerhand Interesse und sorgten für manch amüsierte Unterhaltung, denn diese abgehärteten Seemänner saßen auf den Betten, stopften ihre Socken und bestanden darauf, eigenhändig ihre Unterwäsche zu waschen, die sie dann auf einer zwischen zwei Heizkörpern gespannten Wäscheleine aufhängten. Wer noch ans Bett gefesselt war, litt lieber Höllenqualen, als um die Bettente zu bitten. Angeblich beharrten die genesenden Matrosen sogar darauf, ihre Zimmer selbst sauberzuhalten, und hatten deshalb den Feudel und den schweren Bohnerbesen an sich genommen. Solch häusliche Fertigkeiten unter Männern waren den Mädchen völlig unbekannt, und Fiona sagte, sie wolle keinen Mann heiraten, der nicht in der Royal Navy gedient habe.
Ohne ersichtlichen Grund wurde den Lernschwestern ein halber Tag freigegeben; der Unterricht fiel aus, doch die Trachten mußten sie anbehalten. Nach dem Mittagessen ging Briony mit Fiona über den Fluß und an den Parlamentsgebäuden vorbei in den St. James Park. Sie schlenderten um den See, holten sich am Stand eine Tasse Tee und zahlten für die Klappstühle, um einigen älteren Männern der Heilsarmee zuzuhören, die ein für Bläser umgeschriebenes Stück von Elgar spielten. In jenen Tagen im Mai, ehe durchsickerte, was in Frankreich geschehen war, und ehe dann im September die Stadt bombardiert wurde, wies London alle äußeren Anzeichen eines Krieges auf, doch war er noch nicht bis in die Köpfe der Menschen vorgedrungen. Uniformen; Plakate, die vor Spionage warnten; zwei riesige Luftschutzbunker mitten auf dem Parkrasen und allgegenwärtig die mürrischen Hüter der öffentlichen Ordnung. Ein Mann mit Schirmmütze und Armstreifen ging zu den auf ihren Klappstühlen sitzenden Mädchen und verlangte Fionas Gasmaske zu sehen, die halb von ihrem Mantel verdeckt wurde. Ansonsten war es noch eine unschuldige Zeit. Die Sorge um die Lage in Frankreich, die das Land gefangengehalten hatte, wurde für den Augenblick vom nachmittäglichen Sonnenschein vertrieben. Von den Toten wußte man noch nichts, die Abwesenden glaubte man lebendig. Den Mädchen bot sich ein in seiner Normalität traumgleicher Anblick. Kinderwagen glitten über die Wege, das Verdeck im vollen Sonnenlicht geöffnet, und weiße, weichschädelige Babys starrten erstaunt zum ersten Mal in die Natur. Kinder, die der Landverschickung irgendwie entkommen zu sein schienen, tollten auf dem Gras, lachten und schrien, das Orchester plagte sich mit einer Musik ab, die seine Fähigkeiten überstieg, und die Stühle kosteten noch zwei Pence. Fast nicht zu glauben, daß kaum hundert Meilen weiter eine

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