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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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ungefaltet in einen Hefter legte, den der jüngere Polizist für ihn aufhielt.
Die Stunden der Nacht vergingen wie im Flug, doch Briony wurde nicht müde. Niemand kam auf den Gedanken, sie ins Bett zu schicken. Nachdem Cecilia auf ihr Zimmer verschwunden war, ging Briony eine Ewigkeit später mit ihrer Mutter in die Bibliothek, um das erste offizielle Verhör mit der Polizei zu führen. Mrs. Tallis blieb stehen, während Briony auf der einen und die beiden Inspektoren auf der anderen Seite des Schreibtisches Platz nahmen. Der mit dem Gesicht wie aus uraltem Fels stellte die Fragen und erwies sich als ein unendlich gütiger Mann, der seine bedächtigen Fragen mit einer heiseren Stimme vorbrachte, die zugleich sanft und traurig klang. Da Briony ihnen die Stelle zeigen konnte, an der Robbie über Cecilia hergefallen war, gingen sie alle zu besagter Ecke in der Bibliothek, um den Tatort genauer in Augenschein zu nehmen. Briony zwängte sich zwischen die Regale, mit dem Rücken zu den Büchern, um ihnen zu zeigen, wo ihre Schwester gestanden hatte, und entdeckte durch die Scheiben der hohen Bibliotheksfenster den ersten dunkelblauen Schimmer der Morgendämmerung. Anschließend trat sie wieder aus der Ecke hervor, drehte sich um, nahm die Position des Angreifers ein und zeigte ihnen dann noch, wo sie selbst gestanden hatte.
Emily fragte: »Aber warum hast du mir nichts gesagt?« Die Polizisten schauten Briony an und warteten.
Es war eine gute Frage, aber ihr wäre nie eingefallen, ihre Mutter zu belästigen. Das hätte nur zu einem neuen Migräneanfall geführt. »Wir wurden zum Essen gerufen, und dann sind die Zwillinge weggelaufen.«
Sie erklärte ihnen, wie ihr der Brief in der Dämmerung auf der Brücke überreicht worden war. Was hatte sie veranlaßt, ihn zu öffnen? Es war nicht einfach, jenen impulsiven Augenblick zu beschreiben, in dem sie sich geweigert hatte, über die Folgen ihres Tuns nachzudenken, den Polizisten klarzumachen, daß die Romanschriftstellerin, die sie erst an diesem Tag geworden war, unbedingt alles wissen, alles verstehen mußte, was ihr widerfuhr.
Sie sagte: »Ich weiß nicht. Ich war schrecklich neugierig. Ich hasse mich dafür.«
Etwa zu diesem Zeitpunkt steckte ein Wachtmeister den Kopf durch die Tür, um ihnen eine Neuigkeit mitzuteilen, die sich nahtlos in die Katastrophen dieser Nacht einzureihen schien. Der Fahrer von Mr. Tallis hatte aus einer Telefonzelle in der Nähe vom Flughafen Croydon angerufen. Der Wagen der Regierung, den der Minister freundlicherweise kurzerhand zur Verfügung gestellt hatte, war in der Vorstadt liegengeblieben. Jack Tallis schlief auf dem Rücksitz unter einer Decke und würde seine Fahrt vermutlich am Morgen mit dem ersten Zug fortsetzen. Nachdem diese Nachricht verdaut und gebührend beklagt worden war, lenkte man Brionys Aufmerksamkeit wieder behutsam auf den eigentlichen Schauplatz des Geschehens und die Ereignisse auf der Insel. In diesem frühen Stadium achtete der Inspektor sorgsam darauf, dem jungen Mädchen mit keinen allzu bohrenden Fragen zuzusetzen, so daß Briony dank seiner Rücksicht ihre Erzählung mit eigenen Worten formen und die entscheidenden Fakten unbeeinflußt vorbringen konnte: Das Licht hatte gerade ausgereicht, um ein vertrautes Gesicht erkennen zu können; als er vor ihr zurückwich und über die Böschung lief, waren ihr auch seine Körpergröße und Bewegungen vertraut vorgekommen.
»Also hast du ihn gesehen.«
»Ich wußte, daß er es war.«
»Vergessen wir mal, was du gewußt hast. Du hast gesagt, du hättest ihn gesehen.«
»Ja, ich habe ihn gesehen.«
»So wie du mich siehst?«
»Ja.«
»Du hast ihn mit deinen eigenen Augen gesehen?«
»Ja, ich habe ihn gesehen. Ich habe ihn gesehen.«
Damit war das erste offizielle Verhör beendet. Während sich Briony in den Salon setzte und zu guter Letzt doch noch ihre Müdigkeit spürte, aber nicht zu Bett gehen wollte, wurde ihre Mutter befragt, anschließend Leon und Paul Marshall. Dann brachte man den alten Hardman und seinen Sohn Danny zum Verhör. Briony hörte, wie Betty sagte, daß Danny den ganzen Abend daheim bei seinem Vater gewesen sei, was dieser auch bezeugen könne. Diverse Polizisten kehrten von der Suche nach den Zwillingen zurück und wurden in die Küche geführt. Briony ahnte, daß Cecilia sich in dieser konfusen, erinnerungslosen Zeit der frühen Dämmerung weigerte, ihr Zimmer zu verlassen, nach unten zu kommen und sich ausfragen zu lassen, doch sollte man ihr in den

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