McJesus
das Kuvert und goss sich einen Wodka ein. Der Brief war schon vor ein paar Tagen gekommen, und sie hatte immer noch nicht genug Mut aufgebracht, um ihn zu öffnen. Sie rechnete mit dem Schlimmsten, und sie hatte Angst.
Gewöhnlich half ihr der Wodka, mutig zu sein. Er hatte ihr geholfen, als sie sich das erste Mal verkauft hatte, aber seitdem half er immer weniger.
Der Brief enthielt das Ergebnis von Josies Aidstest. Sie könnte gesund sein. Sie könnte eine tödliche Krankheit haben. Sie bräuchte nur diesen Brief zu öffnen.
Josie wusste, dass sie mehrmals die Chance gehabt hatte, einen anderen Lebensweg einzuschlagen. Sie fragte sich, warum sie immer die falsche Abzweigung genommen hatte. Wie hatte sie es nur geschafft, auf dieser Müllkippe für an den Rand der Gesellschaft geratene Frauen zu landen? Sie hatte genügend gute Ratschläge bekommen, die ihr einen besseren Weg wiesen. Wieso hatte sie nicht darauf gehört? Lehrer, Polizisten, Kolleginnen aus dem horizontalen Gewerbe – jeder hatte ihr gesagt, dass sie in die falsche Richtung ging. Aber auf ein Problem hinzuweisen ist eine Sache; eine Lösung zu finden eine andere.
Nur einer von all den guten Ratgebern hatte tatsächlich angeboten, sie auf einen besseren Weg mitzunehmen, und das war Schwester Peg. Sie hatte seit jenem ersten Abend, an dem sie sich auf dem Ventura Boulevard kennen lernten, versucht, sie zu retten. Josie wusste, dass Schwester Peg die Einzige war, die es ernst meinte. Sie verachtete sich, weil sie sie so oft enttäuscht hatte. Peg hätte etwas anderes verdient.
Josie riss den Umschlag auf und nahm den Brief heraus, aber sie las ihn nicht. Stattdessen verschränkte sie die Hände und blickte aus dem Fenster zur untergehenden Sonne. Sie versuchte, nicht zu weinen. »Lieber Gott«, sagte sie. »Ich habe das noch nie getan, aber vielleicht ist es einen Versuch wert. Ich werde etwas versprechen, aber du musst mir helfen, okay? Ich schwöre, wenn ich negativ bin, werde ich aufhören und für den Rest meines Lebens Peg helfen. Aber wenn ich positiv bin …«
Josie wusste nicht, was dann sein sollte. Deshalb trank sie den letzten Schluck von ihrem Mutmacher und las den Brief.
12
»War das Kreuzzeichen alles?«, raunzte Mr. Saltzman. »Krieg ich keine Buße?« Er hatte das Gefühl, dass Dan seine Sünden unterbewertet hatte.
»Vertrauen Sie mir«, sagte Dan.
An dieser Stelle mischte sich Schwester Peg ein und packte Mr. Saltzman an seinem dicken Unterarm. »He!«, protestierte der Sünder. »Ich bin …«
»Sie sind fertig«, sagte sie und warf den alten Mann aus dem Beichtstuhl. »Sagen Sie Ihre Gebete, und es ist alles okay«
Dan räusperte sich. »Sie müssen ja etwas echt Schlimmes verbrochen haben«, sagte er.
»Können Sie mit einem Revolver umgehen?«, fragte Schwester Peg.
»Noch mal bitte!« Dan zog das Küchentuch zur Seite, das seinen Beichtstuhl abtrennte. Er sah, wie Schwester Peg Patronen in die Trommel eines stahlblauen 38ers steckte. »Um Himmels willen! Was tun Sie da?«
»Ruben hat mir gerade etwas erzählt, das ich als gute Christin einfach nicht ignorieren kann.«
»Und als gute Christin denken Sie, Sie brauchen dazu einen Achtunddreißiger?«
Schwester Peg ließ die Trommel kreisen und einrasten. »Kennen Sie die San Fers?«
Dan dachte einen Augenblick nach. »Meinen Sie die von der Gang?«
»Genau die«, sagte sie. »Zwei dieser Typen sind anscheinend vom Crackdealen zu Entführung und Menschenhandel übergegangen. Ruben sagt, einer von Razor Boys Crack-Kunden habe seinen achtjährigen Sohn für fünfzig Dollar verkauft. Nun sitzt er nicht mehr in seiner Schulklasse, sondern steht an einer Straßenecke und verkauft Crack.«
»O Gott«, sagte Dan.
»Oh, es kommt noch besser«, fuhr Schwester Peg fort. »Sein Busenfreund, ein Idiot namens Charlie Freak, fand die Idee so gut, dass er einer süchtigen Hure ihre siebenjährige Tochter für ein bisschen Crack abkaufte. Als das Mädchen beim Dealen nichts einbrachte, verkaufte er es an einen Kinderpornografen.«
Dann schüttelte den Kopf. Er konnte kaum glauben, was er hörte. Selbst nach Gang-Standards war es ungeheuerlich.
»Inzwischen haben sie drei weitere Kinder für eine Viertelunze Crack gekauft, und ich will nicht warten, bis sich herausstellt, wo diese Kinder enden.« Schwester Peg hielt die Waffe hoch.
»Des h alb frage ich Sie noch einmal: Können Sie mit einem Revolver umgehen?«
»Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte Dan nach einem
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