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McJesus

McJesus

Titel: McJesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Fitzhugh
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inspirieren.«
    Monsignore Matthews langte über den Schreibtisch und nahm ihre Hand. »Was wirst du jetzt wegen des Care Centers machen?« Er sah, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen.
    »Ich weiß es nicht, Monsignore. Ehrlich, ich weiß es nicht.«
    Mrs. Zamora saß in ihrem Rollstuhl in der Sonne, genau so, wie Ruben sie hingestellt hatte. Das Fenster war rechts von ihr. Die schräg einfallenden Sonnenstrahlen kamen direkt von vorn. »Ist dieses Kleid in Ordnung? Ich finde, die Farben sind hübsch.« Es war ein Kleid mit einem schlichten, verblichenen Blumenmuster. Mrs. Zamora strich den Stoff über ihrem Schoß glatt und fühlte sich so beachtet wie seit fünfzig Jahren nicht mehr. Sie blickte geradeaus auf die kahle, rissige Wand ihres Zimmers, aber sie war glücklich, weil sie das Modell des Künstlers war.
    Ruben studierte Mrs. Zamoras Profil und wie das Licht auf ihrem Gesicht wirkte. Manches an ihr erinnerte ihn an seine Großmutter mütterlicherseits – das graue, am Hinterkopf zu einem Knoten geschlungene Haar, die zerbrechliche kleine Gestalt, die hellbraune Haut, die anliegenden Ohren. Deshalb hatte er Mrs. Zamora gebeten, ihm Modell zu sitzen. Sie würde ihm seine liebe, verstorbene abuelita ersetzen. Mrs. Zamora war nicht gehbehindert, aber sie verlor leicht das Gleichgewicht, und ihre achtzig Jahre alten Knochen waren schon etwas mürbe. Dass man sie in den Rollstuhl gesetzt hatte, war eine Vorsichtsmaßnahme; trotzdem fühlte sie sich in ihrem Stolz verletzt. Sie atmete tief ein und setzte sich aufrecht und gerade hin. »Ich bin auf einem Schiff zur Welt gekommen«, sagte sie. »Im Jahr 1919. Das war das Jahr, als der Versailler Vertrag unterzeichnet wurde. Weißt du, ich war immer gut in Geschichte.« Ihre Stimme klang klar und selbstsicher.
    Ruben hätte nicht sagen können, wie ihre Stimme klang, denn er war taub geboren. Er hatte noch nie einen Ton gehört und gab selbst nur in höchst aufgeregtem Zustand Töne von sich, zum Beispiel, wenn ein Schiedsrichter für seine geliebten Raiders schlecht pfiff. Dann brüllte er den Fernseher an, und die Zeichensprache, die er dabei benutzte, konnten sogar die Hörenden verstehen. Er war unglücklich, als die Raiders nach Oakland zurückgingen, aber er wusste, es war der Ort, wo sie hingehörten. L. A. war für Silber und Schwarz viel zu betulich. Sie gehörten in eine richtig schmutzige Industriestadt. An dem Tag, als sie ihren Umzug bekannt gaben, hatte sich Ruben ihr Logo, den Piraten mit der Augenklappe, auf den rechten Arm tätowieren lassen.
    Mrs. Zamora wusste, dass Ruben taub war, aber sie dachte, dass es ihm nichts ausmachte, wenn sie ein wenig erzählte, während er sie zeichnete. Sie genoss es, in Erinnerungen zu schwelgen. »Meine Eltern sind aus Spanien eingewandert. Ich glaube, es war 1921, als wir nach Bakersfield kamen. Mein Vater war Bauer. Er baute hauptsächlich Oliven an, aber es war schwer für ihn. Auswärtige waren bei den Einheimischen nicht willkommen.« Mrs. Zamora war seit sechzig Jahren nicht mehr in Bakersfield gewesen, aber ihre Erinnerungen an den Ort waren taufrisch. Sie wusste noch genau, wie die Luft im Sommer roch und wie gut die Oliven ihres Vaters schmeckten. Sie fragte sich, wie es jetzt dort aussehen mochte; ob von ihren damaligen Freunden noch jemand lebte, wie es ihnen im Leben ergangen war, ob sich vielleicht doch für den einen oder anderen ein Traum erfüllt hatte. Sie fragte sich so manches, aber nur im Stillen. Nach außen hin saß sie nur in der warmen Sonne und blickte auf die nackte, rissige Wand ihres Zimmers.
    Ruben neigte den Kopf zur Seite und kniff die Augen zusammen. Er durfte nicht vergessen, nachher zur Lotto-Annahmestelle zu gehen, um sich die Ergebnisse der letzten Ziehung zu besorgen. Die Ansage im Fernsehen gestern hatte er versäumt. Er machte einige kräftige Striche mit dem Bleistift und schattierte unterhalb von Mrs. Zamoras Kinnlinie.
     
    Ruth lag noch im Bett. Sie lag auf der Seite mit angezogenen Knien. Sie war verwirrt und tief deprimiert. Schwester Peg hatte ihr in den letzten ein oder zwei Tagen immer wieder etwas zu essen gebracht, aber Ruth konnte sich nicht entsinnen, ihre Medizin genommen zu haben. Vielleicht hatte sie sie ja genommen, nur diesmal waren die Chemikalien der Aufgabe nicht gewachsen. Vielleicht würde die Depression diesmal zum Ende führen. Ruth betete darum. Sie wartete schon so lange.
    Sie dachte an die Rasierklinge, die gut versteckt in ihrer

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