Meade Glenn
wußte nicht, wie sie darauf reagieren würde.
»Hat Rudi etwas über diesen Dieter Winter erzählt, den er in dem Haus gesehen hat? Vielleicht sogar, worum es bei dem Streit ging?« Erika Kranz runzelte die Stirn. »Die Frage habe ich Rudi auch schon mal gestellt. Angeblich hatten sie nur Small Talk geführt. Winter war sehr betrunken, als sie einander begegneten, aber Rudis Herkunft schien ihn zu interessieren –
die Tatsache, daß er halb Deutscher und halb Südamerikaner war. Das fand Rudi ebenfalls merkwürdig, nachdem er Winter in Asunción gesehen hatte. Auf der Party hatte Winter nämlich Rudi gefragt, ob er in der deutschen Kolonie in Paraguay verkehre. Rudi verneinte das, weil die Leute ihn langweilten.
Ihm seien die lebensfrohen Paraguayer lieber, hat er geantwortet. Winter schien diese Bemerkung persönlich zu nehmen und wurde plötzlich sehr aggressiv.«
»Mochte Rudi ihn deshalb nicht?«
Die junge Frau zuckte mit den Schultern. »Er fand ihn aufgeblasen und großmäulig. Außerdem meinte Winter, wenn Rudi so wenig von den Deutschen hielte, sollte er doch wieder dahin gehen, wo er hergekommen war. Genau wie die ganzen Gastarbeiter in Deutschland. Winter sagte, daß Deutschland nicht noch ›Mischblut‹ bräuchte.« Das Wort ›Mischblut‹ hatte sie auf deutsch ausgesprochen.
Sie stellte das Glas ab. »Dieses Wort … Sie wissen vielleicht, daß es kein sehr freundliches Wort ist. Man beschreibt damit jemanden, der ein halber Deutscher ist, einen Mischling.«
Volkmann nickte.
Die Hitze in der kleinen Wohnung war trotz der Klimaanlage drückend. Volkmann stand auf, stellte das leere Glas auf den Tisch und sah die junge Frau an.
»Sanchez hat gesagt, daß er morgen früh vorbeikommt und Sie zum Friedhof bringt, damit Sie Rudis Grab besuchen können.«
»Kommen Sie mit?«
»Wenn Sie wollen.«
Die Frau nickte. »Ja, das wäre mir lieber. Danke, Herr Volkmann.«
»Nennen Sie mich Joe.«
Er deutete auf das Telefon. »Soll ich jetzt ein Taxi bestellen?
Wir können ins Hotel zurückfahren.«
Erika Kranz nickte.
Volkmann räumte das Geschirr vom Couchtisch und brachte es in die Küche zurück.
Es war nach acht, als sie im Excelsior ankamen. In einem der Säle des Hotels war eine Vorweihnachtsfeier in vollem Gang. In der Lobby standen Männer im Smoking und wunderschöne, schlanke Frauen mit olivfarbener Haut und engen Kleidern um einen beleuchteten Weihnachtsbaum und nippten an ihren Drinks.
Erika sah hingegen erschöpft aus, und ihr Make-up war verschmiert. Als das Taxi an den Büros der La Tarda vorbeigefahren war, hatte sie plötzlich angefangen zu weinen. In dem Taxi hatte Volkmann ihre Hand gehalten und gespürt, wie sie sich an seine Schulter lehnte. Er hatte ihr Parfum gerochen, und ihr blondes Haar hatte seine Wange gestreift. Sie hatte aus dem Fenster gestarrt und sich die Augen gewischt, seine Hand jedoch nicht losgelassen, bis sie aus dem Wagen stiegen.
Mit dem Aufzug fuhren sie in den fünften Stock zu ihren Zimmern. Sie lagen nebeneinander. Volkmann öffnete ihr die Tür.
»Ich bin nebenan, falls Sie nicht schlafen können oder mit jemandem reden wollen.«
»Danke, Joe. Sie sind sehr freundlich. Bitte entschuldigen Sie, daß ich geweint habe, aber es war ein schrecklicher Tag.«
Volkmann wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, und ging dann in sein Zimmer. Die Klimaanlage lief auf Hochtouren, aber es war trotzdem warm und schwül. Er zog sich langsam aus und legte sich in dem dunklen Zimmer nackt aufs Bett.
Er hatte immer noch ihr Parfum in seiner Nase, als er die Augen schloß und einschlief.
Nach nur einer Stunde wurde Volkmann durch das schrille Klingeln des Telefons aus dem Schlaf gerissen. Er knipste die Nachttischlampe an und nahm verschlafen den Hörer ab. Die Stimme sprach gestelztes Englisch, und er erkannte sie sofort.
»Hier ist Sanchez, Señor Volkmann. Habe ich Sie geweckt?
Entschuldigen Sie, der Zeitunterschied … Das ist mir erst eingefallen, nachdem ich auf Ihr Zimmer durchgestellt worden war.«
»Was gibt es für ein Problem?«
»Es gibt kein Problem. Aber wir haben etwas herausgefunden.
Über den Mann, an dem Sie interessiert sind … dieser Deutsche.«
»Winter.«
» Sí. Und noch etwas anderes. Dieser Santander, von dem ich Ihnen erzählt habe, der ab und zu mit Rodriguez zusammengearbeitet hat … Gestern am späten Nachmittag hat ihn die Polizei in San Ignacio aufgegriffen. Die Stadt liegt nicht weit von der argentinischen
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