Meagan McKinney
Handschuh
verbergen sollte. Während sie mit ihm rang, schmierte sie ihm Blut über das
Hemd, aber er kümmerte sich nicht darum. Dann hatte er ihre Hand wieder
eingefangen und hielt sie in einem Griff wie ein Schraubstock. Er streifte ihn
ganz ab und sah sich an, was sie so verzweifelt zu schützen versuchte.
Die Narbe
nahm den größten Teil der Handinnenfläche ein. Es war der seltsam schöne,
exakt eingebrannte Umriß einer Rose. Sie musterte seinen Gesichtsausdruck
genau, während er das Mal betrachtete, und war erleichtert, nur Neugier,
vielleicht ein wenig Überraschung, aber keinesfalls Wiedererkennen zu
entdecken.
Er ließ
ihre Hand wieder los. Langsam hob er seinen Blick zu ihren Augen. Es war
offensichtlich, daß er ihr viele Fragen stellen wollte – aber auch, daß er
wußte, sie würde ihm nicht antworten. Ohne ein Wort zu sagen, kniete Christal sich
nieder und sammelte das verstreute Gebäck auf.
Sein Blick
folgte jeder ihrer Bewegungen, als könnte dies ihre Gedanken offenbaren, ihre
Vergangenheit verraten. Doch sie behielt seit vier Jahren Geheimnisse für
sich, und sie würde dies jetzt nicht ändern. Während sie die schwärzlichen
Waffeln aufsammelte und den Staub abblies, kehrte die qualvolle Erinnerung an
die Tragödie zurück, die sie in ihrem Herzen verschlossen hatte.
Sie war
dreizehn gewesen, als sich der Brand ereignete. Ihre Familie, die Van Alens,
gehörte zu den exklusivsten und berühmtesten der Knickerbocker-Familien in
Manhattan. Sie waren vermögend, doch nicht protzig, und lebten ruhig und
unauffällig in ihrem alten Stadthaus am Washington Square. Wenn sie an ihr
Leben damals zurückdachte, kam es ihr so unwirklich vor wie ein Theaterstück.
Ihre Eltern hatten sich geliebt, und ihre Töchter, Christal und Alana, hatten
ihre Eltern geliebt. Ihr Familienverband war voller Wärme und Freundlichkeit
gewesen, und oft hatten sie den Ehemann der verstorbenen Tante in ihrem Haus
willkommen geheißen, als wäre er von ihrem eigenen Blut gewesen. Für die jungen
Mädchen war er in vieler Hinsicht eine einschüchternde Persönlichkeit. Mit
seinem grauen Van-Dyke-Bart und seinen stechenden, hellen Augen mochte
Christal ihn instinktiv nicht leiden. Aber er war auch ein Lebemann, und sie
erinnerte sich daran, wie ihre Eltern oftmals über seine trockenen Erzählungen
ge lacht und seine Gesellschaft genossen hatten. Doch während Clarisse und
John van Alen sich am ersterbenden abendlichen Feuer mit ihrem Schwager amüsierten,
schmiedete Baldwin Didier finstere Pläne. Die Gerüchte besagten, daß das
Van-Alen-Vermögen gewaltig war – Aktienpakete der alten Dutch West Indian
Company, Anteile an der Knickerbocker und New-York Bank, Grundstücke, die sich
von der Wall Street bis zum Harlem River erstreckten.
Und es gab
nur sehr wenig Verwandte. Clarisses Schwester, Didiers Frau, war an einer
Magenkrankheit gestorben.
Eines
Nachts, kurz nachdem Christal dreizehn geworden war, wachte sie von dem
beißenden Geruch von Qualm auf. Sie sprang aus dem Bett und folgte dem Rauch,
der aus dem Schlafzimmern ihrer Eltern drang. Die Räume brannten lichterloh.
Und Baldwin Didier stand über dem Bett gebeugt und starrte ihre Eltern nachdenklich
an, die bewußtlos unter den brennenden Betthimmeln lagen.
Sie schrie
auf. Didier floh. Sie betete, daß er die Feuerwehr holen würde, doch sie
begriff schnell, daß er nicht die Absicht haben würde. Denn als sie durch den
verqualmten Raum zu ihren Eltern taumelte, sah sie Blut und den goldenen
Kerzenleuchter, der deutlich Spuren aufwies, daß er auf die Schädel ihrer Eltern
geschlagen worden war.
Christal
war sich sicher, daß dies der Moment war, in dem ihr Geist zusammengebrochen
war. Sie hatte diesen schrecklichen Anblick nicht verkraften können, wollte
sich unter keinen Umständen jemals wieder daran erinnern. Einerseits war dies
ein gnädiges Vergessen – etwas, daß sie vor dem völligen Zusammenbruch
schützte. Andererseits aber war es der Grund gewesen,
warum sie schließlich in die Anstalt eingewiesen worden war. Ohne Erinnerung
an das, was sie gesehen hatte, konnte sie keinerlei Beweise vorlegen, daß
sie an der Tat unschuldig war. Und daß sie in dem Zimmer war, als der Brand
sich ereignete, war ganz sicher. Man brauchte nur in ihre Hand zu sehen.
Die
Einrichtung des Elternschlafzimmers war mit silbernen Türgriffen aus Paris
ausgestattet gewesen, die die Form einer Rose besaßen. Sie war aus der exklusiven
Anstalt geflohen, als ihre Erinnerung
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