Meagan McKinney
verließ das Asyl für immer. Ein Flüchtling.
Sie warf
einen Blick über die Schulter auf Cain. Es war immer noch kein Aufblitzen von
Erkennen in sei nen Augen zu entdecken, nichts als ein Hauch von Neugier. Ohne
den Handschuh, der die Narbe verdecken konnte, schloß sie die Finger über dem
Mal zusammen. Jahrelang hatte sie sich inständig gewünscht, es würde nicht
existieren, doch es war stets da, immer drohte es, sie für ein Verbrechen zu
verraten, das sie nicht begangen hatte. Einmal hatte sie sogar schon daran
gedacht, die Rose auszubrennen, aber als das Schüreisen schon rotglühend war,
verließ sie schließlich der Mut, die Schmerzen aushalten zu können. Sie hatte
das Eisen wieder ins Feuer gestoßen, und sich damit dazu verurteilt, ein Leben
lang davonzulaufen.
Ihr
Herzschlag verlangsamte sich nun wieder. Plötzlich fragte sie sich, wie sie
solche Angst hatte empfinden können. Hier im Westen lebten doch nur
Flüchtlinge. Sie warf wieder einen Blick auf Cain. Flüchtlinge –
verschiedenster Art.
Oben im Ort
stand einer der Männer Wache vor dem Saloon. Cain nickte ihm zu, und sie traten
durch die Schwingtüren ein. Der Saloon war kaum wiederzuerkennen. Der Staub
war an so vielen Stellen aufgewirbelt worden, daß sie nun sogar Holz entdecken
konnte. Die Fußspuren auf der Treppe gaben den Eindruck, als wäre eine ganze
Armee hinaufgetrampelt.
Sie stieg
mit Cain hinauf und klopfte an die Tür. Zeke öffnete, seine Bullenpeitsche in
der Hand, und Christal reichte ihm den Teller mit den Waffeln. Sie sah an ihm
vorbei und zählte die Passagiere. Alle wirkten erschöpft. Mr. Glassie schwitzte
schon, obwohl der Morgen noch kühl war. Die Hand des Predigers zitterte, als
er nach dem Teller griff. Offenbar brauchte er dringend einen Whisky. Der
Kutscher und Petes Vater schliefen mit den Köpfen an die schwäbige Wand
gelehnt. Immer wenn sich einer bewegte, schreckte das Rasseln der Ketten sie
wieder auf.
Ihr Blick
traf Petes. Der Junge hatte sich in einer Ecke niedergelassen und wirkte
verängstigt, aber dennoch trotzig. Seine Wangen färbten sich rot vor Zorn, als
er ihr zerrissenes Oberteil sah. »Warum ist sie nicht hier bei uns?« wollte er
wissen und verweigerte die Waffeln. Er versuchte, sich auf die Füße zu
stellen, aber Boone, der ebenfalls im Raum war, stieß ihn wieder zu Boden.
»Sie ist
jetzt Cains Frau, deswegen«, zischte Boone. Der Blick, den er ihr zuwarf, sagte
Christal, daß Boone am vorherigen Abend unten am Feuer gewesen war.
»Ihr habt
kein Recht ...!« Pete begann, Cain zu verfluchen, aber Boone trat ihn in den
Bauch.
Sofort
bewegte sich Christal vorwärts, doch Cain packte sie um die Taille und hielt
sie zurück. »Sie können dem Jungen nicht helfen«, sagte er ruppig.
»Tut ihm
nichts, bitte!« schrie Christal.
Boone
schien noch einmal treten zu wollen, doch Cain griff ein. »Laß ihn in Ruhe!«
sagte er knapp, und Boone gehorchte. Das Mißfallen darüber, daß der Befehl
indirekt von ihr kam, war ihm deutlich anzusehen. Doch selbst Boone hatte
begriffen, daß man sich mit Cain besser nicht anlegte.
»Haben sie
heute schon Wasser bekommen?« fragte Cain nun.
Boone
schüttelte den Kopf.
»Dann hol
was!«
Der andere
Mann nickte.
Cain
musterte die Passagiere. Zufrieden mit ihrem Zustand, packte er ihre Hand und
zog sie hinaus, ohne sich um Petes zornigen Blick zu kümmern.
Sie stiegen
wieder die Treppen hinab. Unfähig, die Frage zu unterdrücken, machte Christal
einen Vorstoß. »Wie groß sind die Chancen, daß wir alle bis Dienstag
überleben?«
Cain sah
sie mit zusammengepreßten Lippen an. »Warum kümmern Sie sich nicht einfach nur
darum, ob Sie es schaffen oder nicht?«
Ihr Blick
hielt den seinen fest, und sie dachte an die vergangene Nacht, daran, wie er
sie gerettet hatte. »Sie werden uns nicht sterben lassen«, flüsterte sie mit
Überzeugung.
Er sah zur
Seite. Dann wurden seinen Augen kalt und wanderten plötzlich ruhelos umher.
»Ich gebe keine Garantien.«
Cain trieb seinen Appaloosa die Schienen
entlang. Sie ritten langsam durch die Ebene, an einem zerfallenen Wasserturm
vorbei, während die heiße Sonne auf ihre Rücken brannte. Er prägte sich die
Spur ein, die Gleisführung, die Beschaffenheit des Landes. Instinktiv wußte
Christal, daß dies die Stelle war, an der der Overland Express das Lohngeld
herauswerfen sollte.
»Sind Sie
derjenige, der das Geld holen soll?« fragte sie. Sie saß vor ihm auf dem
nackten Rücken des Appaloosa und spürte
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