Meagan McKinney
verfilztem Haar und ihrem zerrissenen
Mieder, aber sie konnte sich
wenigstens nicht in einem Spiegel betrachten.
Statt dessen sah sie nun einen heruntergekommenen, schmutzigen Menschen
am Boden zusammengekauert,
der im krassen Gegensatz zu dem gewandten
und gepflegten Handelsreisenden in dem schicken, modischen Anzug stand.
Christal konnte die
Mißhandlungen der Männer hinnehmen, denn sie erwartete
nichts anderes, und sie war schon früher schlecht behandelt worden. Aus
irgendeinem Grund fand sie es
viel schwerer zu ertragen, was sie Mr. Glassie angetan
hatten. Tränen brannten in ihren Augen, als sie ihn betrachtete. Er war in
gewisser Weise ein Spiegelbild
ihres eigenen Zustands. Zitternd und gegen die Aufwallung des Entsetzens
ankämpfend, füllte sie seinen Napf. Ihre Hände bebten so sehr, daß Mr. Glassie
ihr schließlich die Kelle abnahm.
Mit
sorgenvollen Augen sagte er höflich: »Ah, Mrs. Smith, Gott sei Dank sehen Sie
wohlauf aus. Doch es bekümmert mich, daß Sie mich in solch einem unbekleideten
Zustand betrachten müssen.«
Sie hatten
ihm seinen Anzug abgenommen, sie hatten ihn dreckig und ungepflegt gemacht.
Doch nichts hatte den Gentleman in ihm vernichten können. Sein Geist war
unbesiegt.
Und ihrer
würde es auch sein.
Über sich
selbst überrascht, warf sie ihm impulsiv die Arme um den Hals und drückte ihn.
Sie vergrub ihren Kopf an seiner gewaltigen Brust und kämpfte gegen den Drang
zu weinen an. Sie würde alles tun – sie gäbe sogar ihre Goldstücke her –, um
diesen Mann noch einmal in seinem Anzug zu sehen.
»Na, na,
meine liebe Frau ...« tröstete er sie, und sie konnte aus seiner Stimme
heraushören, wie verblüfft er durch ihre unerwartete Zuneigung war. »Wir
kommen hier schon wieder raus, haben Sie keine Angst. Die Paterson Furniture
Company wird mich nicht verlieren wollen. Sie werden für unsere sichere
Rückkehr sorgen, Sie werden schon sehen.«
Sie hörte
seine Worte und preßte die Augenlider fest zusammen, so als könnte sie alles
ausschließen, was sie nicht mehr ertragen konnte. Er wollte sie festhalten,
aber seine Hände trauten sich nicht, und nachdem er schüchtern ihren
Rücken gestreichelt hatte, ließ er die Arme sinken.
Christal
hätte sich nicht bewegt, wäre an der tröstenden Brust liegen geblieben,
wenn sie nicht Cains Hand auf ihrer Schulter gespürt hätte. Er drückte sie
fest, ohne ihr wehzutun, aber doch unmißverständlich mit dem
Befehl, sie solle sich anders benehmen oder würde die Konsequenzen tragen
müssen. Mit heftigem Kraftaufwand löste sich Christal schließlich von
Mr. Glassie und machte sich wieder daran, die Näpfe der Gefangenen zu füllen,
während sie versuchte, ihr blasses Gesicht emotionslos zu halten und die Tränen zu unterdrücken. Nur einmal warf sie Cain einen Blick zu und
hoffte inständig auf einen Hauch von Schuld in seiner Miene, weil
er den Passagieren des Overland Express' so etwas angetan hatte. Aber
sie entdeckte nichts dergleichen. Er starrte sie nur an – mit einem Blick, den
sie schon vorher bei ihm gesehen hatte, am Feuer im Lager. Er sah sein Eigentum
an.
Sie füllte
den Napf des Kutschers, dann den des Gewehrträgers. Der Prediger sah aus, als
würde er vor Durst auf Alkohol fast umkommen, aber sie reichte ihm trotzdem
einen Napf. Danach war Petes Vater an der Reihe.
Pete war
der letzte. Er sah sie mit deutlicher Sorge über ihren Zusammenbruch bei Mr.
Glassie an. Christal hatte Angst, er würde wieder etwas Verrücktes
unternehmen, um sie zu beschützen, doch er tat nichts. Ohne ein Wort ließ er
sich den Napf füllen. Dann legte er ihr die Hand auf ihr Handgelenk.
Es hatte
nur eine Sekunde gedauert, aber er hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Er
bedeutete ihr schweigend seinem BIick zu folgen, und da, in seinem Schoß,
versteckt unter seinen gekreuzten Beinen, sah sie einen Sechsschüsser.
Angstvoll warf sie dem betrunkenen Wächter einen Blick zu. Marmet sagte gerade
etwas zu Cain und lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück. Jetzt erst sah
sie, daß in Marmets rechtem Halfter kein Revolver mehr steckte.
Christal
stand erregt und verängstigt auf. Sie würden fliehen. Oder erschossen werden.
»Wo ist
mein Essen?« fragte Marmet sie nun mit schwerer Zunge. Christal war von dem
Revolver noch derart schockiert, daß sie gar nicht registrierte, daß er sie anfaßte,
bis sie schließlich durch ihre Röcke seine Hand an ihrem Schenkel spürte.
»Hol's dir
selbst«, gab Cain mit einem verärgerten Unterton in
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