Medaillon des Schicksals (German Edition)
niemanden von dieser Art getroffen.«
Daria sah sie mit großen Augen an. »Du hast dieselben Worte gesprochen wie mein Bruder Giacomo«, sagte sie mit Verwunderung. »Ihr seid euch tatsächlich ähnlich, du und er. Ähnlich wie Geschwister oder verschwisterte Seelen.«
Am Abend, als all das Treiben allmählich nachließ und Ruhe auf dem Burghof eingekehrt war, fanden sich die Gaukler und Vaganten gemeinsam mit den Burgleuten auf dem Hof ein. Sie hatten Bänke herbeigeschafft und diese unter das schattige Dach einer mächtigen, ausladenden Kastanie gestellt.
Der Sommerwind fächelte den Leuten eine angenehme Brise vom Meer ins Gesicht und unter das Haar, die Blätter der Eschen wisperten geheimnisvoll, und die Hügel der Toskana reckten sich ein letztes Mal für heute den rot glühenden Strahlen der untergehenden Sonne entgegen, ehe die Dämmerung die angebrochene Herrschaft der Nacht verkündete.
Liebespaare saßen nebeneinander und hielten sich an den Händen, die jungen Frauen hatten ihr Haar gelöst, sodass der Wind darin spielen konnte, und selbst die Alten gaben zu, dass es eine so wundervolle Sommernacht seit Jahren nicht mehr gegeben hatte.
Im letzten Licht der untergehenden Sonne wirkte selbst die Burg, als wäre sie mit Blattgold verziert, um gleich darauf in das silbrige Kleid des Mondlichts zu schlüpfen.
Raffael hatte die Laute dabei und schlug die ersten Töne an. Rosaria, die neben ihm saß, lächelte ihm zu und trank einen Schluck des feurigen Chiantis.
Auch sie spürte den Zauber dieser ganz besonderen Nacht, die der Johannisnacht, der Jahresmitte, vorausging und alles ringsherum weich und verträumt erscheinen ließ, als wären die Geheimnisse der uralten Zeiten, Geheimnisse um Lieben und Leben, aus ihren tief unter der Erde versteckten Höhlen gekrochen, um die Menschen daran zu erinnern, dass das Leben ein Fest war und die Melancholie die bittersüße Melodie dazu.
»Rosaria, sing uns ein Lied«, bat die Feuerschluckerfrau.
»Ja, Rosaria, sing ein Lied von der Liebe«, stimmten nun auch die anderen ein.
Rosaria lächelte und dachte an den wundervollen Kuss des Vormittags zurück und auch daran, dass sie ihn von einem geheimnisvollen Fremden bekommen hatte.
Eine bittersüße Freude stieg in ihr auf, die zu dieser zauberhaften, milden und zugleich wilden Sommernacht passte, wie eben das Lied und die Liebe zusammengehörten. Und Rosaria sang ein Lied, das aus dem Herzen kam, ein Lied von Petrarca, der zu ihrem Leben gehörte wie die Liebe, die sie nicht haben durfte. Sie sang dieses Lied nicht nur mit ihrer Stimme, nein, die Worte strömten direkt aus ihrer Seele in ihre Kehle, verbanden sich dort mit ihrer Sehnsucht und erfüllten die Menschen unter dem Kastaniendach mit Wehmut und einem Verlangen, für das es keine Worte gab.
»Wenn es nicht Liebe ist, was ist's dann, das ich fühle?
Doch wenn es Liebe ist, bei Gott, was ist und wie ist das?
Ist es ein Gut, wie kann es einen dann so tödlich treffen?
Ist es ein Übel, warum sind die Qualen so süß?
Wenn ich freiwillig glühe, warum beklage ich mich dann?
Geschieht es wider Willen, was nützt dann das Klagen?
O lebendiger Tod, o Unheil voller Segen,
was verfügst du über mich, meinem Willen entgegen?
Wenn ich es aber will, beschwere ich zu Unrecht mich.
Bei widrigen Winden treibe ich auf hoher See
In einer morschen Barke, steuerlos,
so leicht an Wissen und so irrtumbeladen,
dass ich nicht weiß, was ich mir wünschen soll:
ich fröstele im Sommer und glühe im Winter!«
Als Rosaria das Lied beendet hatte, herrschte noch lange Schweigen. Auch Rosaria hing ihren Gedanken nach, die wieder bei dem Fremden und seinem wunderbaren Kuss verweilten. Wie sehr wünsche ich mir einen zweiten Kuss dieser Art, dachte Rosaria voller Sehnsucht und Verlangen. Und wie sehr fürchte ich mich doch gleichzeitig davor. Dieser Fremde, das ahnte sie mehr, als dass sie es wusste, war in der Lage, das wahre Feuer der Liebe in ihr zu entfachen. Doch sie durfte nicht lieben. Das Orakel hatte es deutlich zum Ausdruck gebracht. Ihr Leben gegen das Leben des Liebsten oder der eigenen Mutter.
Nein, so verlangend Rosaria auch sein mochte, sie durfte diesem herbwilden und gleichzeitig so zarten Gefühl in ihrer Brust nicht nachgeben. Sie musste den Kuss vergessen und all ihre Gedanken nur darauf richten, was der Tag ihr brachte.
Ihr Blick huschte an den hohen Mauern der Burg hinauf und verweilte bei einer schmalen, eleganten Gestalt, die an einem offenen
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