Medaillon des Schicksals (German Edition)
war.
Die Sonne brannte glühend heiß vom wolkenlosen Himmel. Rosaria schwitzte und hatte Durst. Namenlosen Durst. Was hätte sie alles gegeben für einen Schluck Wasser! Nur einen einzigen Schluck Wasser, um wenigstens die Lippen zu benetzen. Doch sie konnten nicht anhalten und sich an einem Bach laben. Noch lag die Burg zu nahe, noch mussten sie jeden Moment damit rechnen, von ihren Verfolgern eingeholt zu werden.
Sie ritten so lange, bis die Pferde, zu Tode erschöpft, sich weigerten, auch nur einen Schritt weiter zu gehen.
An einem Bach machten sie Rast, führten die Tiere zur Tränke, tranken sich selbst satt und ließen die Pferde ein wenig ausruhen.
Raffael und Rosaria setzten sich in den Schatten einer Weide und ruhten ebenfalls. Der Bach lag ein wenig abseits des Weges. Die Verfolger würden sie hier wohl nicht vermuten. Eine halbe Stunde des Ruhens konnten sie sich schon gönnen, denn auch die Leute der Burg mussten irgendwann einmal rasten und ihre Tiere verschnaufen lassen.
Nebeneinander saßen sie da, ein jeder mit dem Rücken an den Stamm der Weide gelehnt, und sahen gedankenverloren über die toskanische Landschaft.
Es war Raffael, der schließlich das Schweigen brach.
»Du liebst ihn, Rosaria, stimmt es?«
Rosaria schwieg. Sie hielt einen Zweig in der Hand und beobachtete ein kleines Insekt, das sich mühevoll einen Weg über ein Blatt suchte.
»Liebst du ihn?«, drängte Raffael weiter und fasste sie an der Schulter. Nie war ihm die Freundin seiner Kindheit und Jugend schöner erschienen als in diesem Augenblick. Ja, es war wohl so, dass Raffael Rosarias Schönheit überhaupt erst bewusst zur Kenntnis nahm, als er sah und hörte, dass ein anderer sie begehrte. Sie saß vor ihm in ihrem hellen Kleid, die Wangen gerötet, das Haar vom schnellen Ritt zerzaust, die Lippen leicht geöffnet. Ihr Atem ging noch immer schnell und ließ ihre festen Brüste beben, die sich gegen den dünnen Stoff des Kleides pressten.
»Liebst du ihn?«, fragte er noch einmal, und seine Stimme wurde dabei lauter.
Rosaria schüttelte die Hand auf ihrer Schulter ab, als wäre sie eine lästige Fliege.
»Mein Schicksal will nicht, dass ich liebe«, sagte sie, und ihre wunderschönen klaren Augen verdunkelten sich. Sie blickte in den Himmel und schien Raffael neben sich vergessen zu haben.
»Und ich? Was ist mit mir?«
Raffaels Stimme klang verärgert, gekränkt. Rosaria bemerkte es nicht. Zu viel war in den letzten beiden Tagen geschehen, als dass ihr Herz fähig gewesen wäre, auf die leisen Zwischentöne der anderen zu achten.
»Ich kenne dich seit meiner Geburt. Du bist mir vertraut wie ich mir selbst. Du bist ein Teil von mir, ein Teil meiner Vergangenheit, meiner Gegenwart und wirst wohl mein Leben lang ein Teil von mir sein. Unser beider Leben sind miteinander verwoben, waren es vom ersten Tag an.«
»Ich kenne das Orakel, und ich fürchte mich nicht davor. Aber ich will mehr. Ich will, dass du mich liebst, dass du mich begehrst, wie eine Frau ihren Mann begehren sollte.«
Rosaria sah Raffael ins Gesicht, doch sie nahm die Kränkung noch immer nicht wahr. Mit ihrer Hand strich sie über seine Wange, wie eine Mutter ihrem Kind über die Wange streicht.
»Raffael«, sagte sie leise und lächelte ihn an, ohne ihn zu sehen. »Ich liebe dich. Liebe dich wie einen Bruder. Das ist mehr, als viele Frauen ihren Männern an Zuneigung entgegenbringen.«
Raffael, heißblütig und jähzornig, schlug mit der Hand auf den Boden.
»Das reicht mir nicht, Rosaria. Es reicht nicht. Ich bin nicht dein Bruder, bin mehr als nur der Gefährte aus Kindertagen. Ich bin dein Mann.«
»Ja, das wirst du wohl bald werden«, erwiderte Rosaria gleichgültig.
Raffael sah seine Verlobte an und erkannte, dass ihre Gedanken in einer Welt weilten, die für ihn nicht erreichbar war. Unsäglicher Ärger stieg in ihm auf. Am liebsten hätte er Rosaria gezwungen, ihn zu lieben. Wenn es sein musste, sogar mit Schlägen.
Er erschrak, als er.sich seiner Gedanken bewusst wurde.
Rasch lief er zum Bach, suchte nach einer breiten und tiefen Stelle und stürzte sich kopfüber in das Nass, um seine heiße Wut abzukühlen. Doch die Wut verflog nicht, sondern blieb als spitzer, bohrender Stachel in seinem Herzen zurück, und sie verflog auch nicht, als sie längst weiterritten.
Wieder und wieder versuchte er, einen Blick Rosarias einzufangen und festzuhalten. Doch es gelang ihm nicht. Rosaria sah ihn zwar an, lächelte auch, doch ihre Gedanken, das
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