Medaillon des Schicksals (German Edition)
Lager für die Nacht suchen.«
Raffael zügelte sein Pferd und wartete, bis Rosaria mit ihm auf gleicher Höhe war.
»In eine Herberge können wir nicht gehen«, sagte er. »Das ist zu gefährlich, wir dürfen nirgendwo Spuren hinterlassen. Wir sind erst in Sicherheit und können aufatmen, wenn wir die Toskana verlassen und den Veneto erreicht haben.«
»Und dann?«, fragte Rosaria. »Was wird dann? Wie lange werden wir auf der Flucht sein müssen? Wann können wir wieder zu den anderen zurückkehren?«
Raffael zuckte mit den Achseln und sah unbestimmt nach vorn.
»Ich weiß es nicht, Rosaria. Vielleicht werden wir den Winter in Venedig verbringen müssen, vielleicht können wir auch schon in wenigen Wochen zu den anderen zurückkehren. Wir müssen abwarten.«
Rosaria nickte nachdenklich. Sie ritten langsam weiter und hielten Ausschau nach einer Bleibe für die Nacht.
Endlich sahen sie in der Ferne ein Gehöft, dessen verfallene Mauern einen verlassenen Eindruck machten.
Sie ritten darauf zu, tränkten an einem Brunnen die Pferde, banden sie an und bereiteten sich ein Nachtlager aus den wenigen Decken, die sie mitgenommen hatten.
Obwohl die Müdigkeit wie Blei auf ihnen lastete, konnten sie nicht schlafen. Sie saßen nebeneinander und betrachteten die Sterne am Himmel, die so zahlreich leuchteten wie ein ganzes Heer.
Lange Zeit saßen sie so da und hingen ihren Gedanken nach.
Raffael war noch immer gekränkt. Er fühlte sich ungerecht behandelt. Hatte er Rosaria seine Liebe nicht schon oft genug bewiesen? War er es nicht, der sie auf ihrer Flucht begleitete, sie beschützte und beschirmte? Ja, er hatte sich Rosarias Liebe weiß Gott verdient. Und was tat sie, die Undankbare, Hochmütige? Sie liebte einen anderen, und für ihn blieben nur die kümmerlichen Brosamen der Bruderliebe übrig. Nein, so hatte sich Raffael das nicht vorgestellt. Rosaria musste einsehen, wie undankbar sie sich ihm gegenüber verhalten hatte, musste ihr Unrecht an ihm wieder gutmachen. Und er wusste auch schon, wie. Doch noch war es nicht soweit.
»Nach Venedig, sagst du?«, nahm Rosaria den Gesprächsfaden wieder auf. »Warum nach Venedig?«
»Weil dort die Gesetze des Veneto gelten und du nicht bestraft werden kannst für ein Vergehen, das du in der Toskana verübt hast.«
»Ich habe nichts verbrochen«, erwiderte Rosaria.
»Ja, ich weiß. Doch das ist nicht entscheidend. Wenn man dir hier den Vorwurf der Hexerei macht, dann hast du wenig Aussichten, das Gegenteil zu beweisen. Es sei denn, ein hochrangiger Gönner verhindert den Prozess.«
»Ein hochrangiger Gönner«, wiederholte Rosaria und sah nachdenklich in die Ferne. Plötzlich hatte sie einen Einfall. Ihr Gesicht belebte sich, die hellen Augen gewannen an Glanz.
»Nicht nach Venedig, nach Florenz müssen wir«, teilte sie Raffael aufgeregt mit.
»Florenz? Wieso Florenz?«, fragte er.
»Zu Lorenzo di Medici, zu Il Magnefico müssen wir. Er ist klug, ist gebildet. Er glaubt nicht an Hexerei. Zu ihm müssen wir, denn nur er kann den Prozess in der Toskana verhindern.«
Raffael horte zu und verzog keine Miene dabei. Langsam nickte er. Florenz, dachte er. In Florenz wollten wir heiraten. Warum also nicht Florenz? Vielleicht traut uns dort ein Priester. Doch Rosaria sprach schon weiter.
»Wir müssen ihm erzählen, was geschehen ist. Er wird es verstehen und der Inquisition Einhalt gebieten. Raffael, wir müssen nach Florenz!«
Sie lachte plötzlich.
»Vielleicht sind wir schon in wenigen Tagen wieder zu Hause, zu Hause in unserer Wagenkolonne«, strahlte sie voller Zuversicht.
»Du hast Recht, Rosaria. Wir werden uns gleich morgen früh auf den Weg nach Florenz machen, werden zu Il Magnefico gehen, ihm alles erzählen und uns dort von einem Priester trauen lassen.«
Rosarias Gesicht verdüsterte sich.
»Warum so schnell, Raffael? Haben wir jetzt nicht andere Sorgen? Kann die Hochzeit nicht warten?«
Raffael schüttelte den Kopf.
»Nein, wir haben keine Zeit. Wir sollten so schnell wie möglich heiraten. Es ist viel schwerer, eine verheiratete Frau als Hexe anzuklagen als eine unverheiratete.«
Rosaria wusste, dass Raffael Recht hatte. Eine Hochzeit mit ihm wäre hilfreich. Aber sie konnte ihn nicht heiraten. Sie liebte einen anderen, würde Raffael nie lieben können. Nein, die Hochzeit durfte nicht stattfinden. Auch oder in erster Linie um seinetwillen. Würde er es verstehen? Gerne hätte Rosaria noch ein paar Tage gewartet, ehe sie ihm von ihrem Entschluss,
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