Medicus 03 - Die Erben des Medicus
Krankenversicherung, Geld oder genug Geschick, um herauszufinden, wo Hilfe verfügbar war, versuchten noch immer, Schwangerschaften selbst abzubrechen. Sie schluckten Terpentin, Ammoniak oder Reinigungsmittel, oder sie stocherten mit allen möglichen Gegenständen in ihrer Gebärmutter herum - mit Kleiderbügeln, Stricknadeln, Küchenutensilien, mit allem, was versprach, eine Fehlgeburt auszulösen. R.J. arbeitete in der Family Planning Clinic, weil es ihrer Überzeugung nach für eine Frau von grundlegender Bedeutung war, adäquate Hilfe zur Verfügung zu haben, wenn sie sie brauchte. Aber für das medizinische Personal in der Klinik wurde es immer schwieriger. Als sie an einem Mittwoch abends nach einem hektischen Kliniktag nach Hause fuhr, hörte sie im Autoradio, daß vor einer Abtreibungsklinik in Bridgeport, Connecticut, eine Bombe explodiert war, die einen Teil des Gebäudes zerstört, einen Wachposten das Augenlicht gekostet und eine Sekretärin und zwei Patientinnen verletzt hatte.
Am nächsten Morgen sagte ihr Gwen Gabler in der Klinik, daß sie aufhöre und wegziehe.
»Aber das kannst du doch nicht tun!« sagte R.J.
Sie, Gwen und Samantha Porter waren seit der Medical School enge Freundinnen. Samantha war eine angesehene Professorin an der Medical School der University of Massachusetts, ihre Anatomievorlesungen waren schon jetzt eine Legende. R.J. sah sie nicht so oft, wie sie es sich gewünscht hätte, aber mit Gwen hatte sie engen und regelmäßigen Kontakt, und das seit achtzehn Jahren.
Gwen lächelte sie traurig an. »Ich werd' dich vermissen wie sonstwas.«
»Dann geh nicht!«
»Ich muß. Phil und die Kinder gehen vor.« Der Immobilienmarkt war aus den Fugen geraten, und Phil Gabler hatte ein miserables Geschäftsjahr hinter sich. Die Gablers zogen nach Westen, nach Moscow in Idaho. Phil würde an der dortigen Universität Kurse über Immobilienhandel halten, und Gwen verhandelte mit einer privatwirtschaftlichen Gesundheitsfürsorgeorganisation, einer sogenannten Health Maintenance Organisation oder kurz HMO, wegen einer Anstellung als Gynäkologin und Geburtshelferin. »Phil ist der geborene Lehrer, und HMOs sind der letzte Schrei. Wir müssen etwas tun, um das System zu ändern, R.J. Über kurz oder lang werden wir alle für HMOs arbeiten.« Erste Vereinbarungen mit der HMO in Idaho hatte sie bereits telefonisch getroffen.
Sie hielten sich fest bei den Händen, und R.J. fragte sich, wie sie wohl ohne Gwen zurechtkommen würde.
Nach der Chefarztvisite am Freitag morgen löste sich Sidney Ringgold aus dem Haufen Weißkittel und kam quer durch die Halle auf R.J. zu, die am Aufzug wartete.
»Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich eine Menge positiver Reaktionen auf den Publikationsausschuß bekomme«, sagte er.
R.J. kam das verdächtig vor. Für gewöhnlich machte Sidney Ringgold keine Umwege, nur um jemandem auf die Schulter zu klopfen.
»Wie geht's eigentlich Tom in letzter Zeit?« fragte er beiläufig.
»Ich habe von einer Anzeige beim Untersuchungsausschuß für ärztliches Fehlverhalten am Middlesex gehört. Kann ihn diese Geschichte in Schwierigkeiten bringen?«
Sidney hatte viel Geld für das Krankenhaus mobilisiert, und er hatte eine übertriebene Angst vor schlechter Publicity, sogar vor der, die auf einen Lebensgefährten abstrahlte.
Schon immer hatte R.J. die Rolle der Bewerberin gehaßt. Doch sie gab der Versuchung nicht nach, sagte nicht: Stecken Sie sich diesen Posten sonstwohin! »Nein«, sagte sie vielmehr, »keine Schwierigkeiten, Sidney. Tom meint, es ist einfach lästig, aber nichts, weswegen man sich Sorgen machen müßte.«
Er beugte sich zu ihr. »Und ich glaube auch nicht, daß Sie sich irgendwelche Sorgen machen müssen. Ich will nichts versprechen, aber es sieht gut aus für Sie. Sehr gut sogar.«
Seine Ermutigung erfüllte sie mit einer unerklärlichen Traurigkeit. »Wissen Sie, was ich mir wünsche?« fragte sie spontan. »Ich wünsche mir, daß wir beide uns zusammentun und hier im Lemuel Grace Hospital eine allgemeinmedizinische Abteilung für Patientenbehandlung und Lehre aufbauen, damit die Nichtversicherten von Boston eine Einrichtung haben, wo sie wirklich erstklassige medizinische Versorgung erhalten.«
»Eine solche Einrichtung für die Nichtversicherten gibt es doch bereits! Wir haben eine Ambulanz, die sehr erfolgreich arbeitet« Sidneys Verärgerung war deutlich zu spüren. Diskussionen über die medizinischen Unzulänglichkeiten seines Krankenhauses
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