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Medicus 03 - Die Erben des Medicus

Titel: Medicus 03 - Die Erben des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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zahlte er, einmal sie. Sie merkte, daß sie ihn mochte, und sagte ihm, ihre Freunde würden sie R.J. nennen.
    »Und mich nennen alle nur Dave«, erwiderte er. Und dann lächelte er. »Meine Freunde nennen mich David.« Seine Jeans waren ausgebleicht, sahen aber immer sehr sauber aus. Seine zum Pferdeschwanz zusammengebundenen Haare waren stets frisch gewaschen. Wenn sie ihm die Hand gab, spürte sie, daß seine Handfläche muskulös und von körperlicher Arbeit hart war, aber seine Nägel waren geschnitten und sahen gepflegt aus.
    Sie konnte sich nicht so recht entscheiden, ob er sexy war oder nur interessant.
    Für den Samstag, bevor sie endgültig von Boston wegzog, verabredete er sich mit ihr in aller Form: zum Abendessen nach Northampton. Als sie das Restaurant verließen, nahm er sich eine Handvoll Süßigkeiten aus der Schale neben der Tür, kleine, glasierte Schokoladenriegel. »Mmmm, Luxus-M&Ms!« sagte er und bot ihr welche an.
    »Nein danke«, sagte sie.
    Im Auto sah sie zu, wie er kaute, und mußte sich Mühe geben, ruhig zu bleiben. »Die sollten Sie nicht essen, David!« sagte sie.
    »He, aber ich mag diese Dinger. Ich nehme nicht zu.«
    »Ich mag sie ja auch. Ich kauf Ihnen welche in einer ordentlichen, sauberen Verpackung.«
    »Reinlichkeitsfanatikerin, was?«
    »Ich habe vor kurzem einen Test von solchen Süßigkeiten aus Restaurantschalen gelesen. An den meisten dieser Leckereien hat man Urinspuren gefunden.«
    Er sah sie schweigend an. Er hatte aufgehört zu kauen.
    »Männliche Gäste gehen auf die Toilette. Danach waschen sie sich oft nicht die Hände. Und beim Verlassen des Restaurants greifen sie dann in die Schale ...«
    Sie merkte, daß er nicht wußte, ob er ausspucken oder schlucken sollte. Das war wohl das Ende dieser Beziehung, dachte sie, als er schluckte, dann das Fenster herunterkurbelte und den Rest auf die Straße warf.
    »Das ist aber nicht sehr nett, einem solche Horrorgeschichten zu erzählen. Seit Jahren esse ich diese Restaurantsüßigkeiten sehr gern. Aber das Vergnügen haben Sie mir gründlich verdorben.«
    »Ich weiß. Aber wenn ich sie gegessen hätte und Sie es gewußt hätten, hätten Sie es mir doch auch gesagt, oder?«
    »Vielleicht nicht«, erwiderte er, und als er anfing zu lachen, lachte sie mil. Sie kicherten noch immer, als sie schon die halbe Route 91 hinter sich hatten.
    Auf der Heimfahrt in die Hügel und anschließend in seinem vor ihrem Haus abgestellten Pick-up erzählten sie sich aus ihrem Leben. Als Jugendlicher war er Sportler gewesen, »immerhin so gut, daß ich in einer Menge Sportarten eine Menge Verletzungen abkriegte«. Als er schließlich aufs College ging, hatte er sich so oft verletzt, daß er überhaupt keinen Sport mehr betrieb. Er studierte Englisch am Hamilton College und schrieb seine Diplomarbeit über ein Thema, zu dem er nichts Näheres sagen wollte. Vor seinem Rückzug in die Hügel von Massachusetts war er Immobilienmanager bei Lever Brothers in New York gewesen, in den letzten beiden Jahren sogar stellvertretender Direktor. »Mit allem Drum und Dran - um sieben Uhr fünf mit dem Zug nach Manhattan, das große Haus, der Swimmingpool, der Tennisplatz.« Seine Frau Natalie hatte amyotrophische Lateralsklerose bekommen, die Gehrigsche Krankheit. Sie wußten beide, was das bedeutete, denn sie hatten einen Freund an ALS sterben sehen. Einen Monat nach der endgültigen Bestätigung der Diagnose mußte David beim Nachhausekommen feststellen, daß Sarah, die damals neunjährige Tochter, sich in der Obhut eines Nachbarn befand und Natalie die Garagentür mit feuchten Tüchern abgedichtet und den Motor ihres Wagens angelassen hatte, um bei klassischer Musik aus dem Radio Selbstmord zu begehen.
    Er hatte eine Köchin und eine Haushälterin angestellt, die sich um Sarah kümmerten, er selbst aber flüchtete sich acht Monate lang in den Alkohol. An einem nüchternen Tag erkannte er plötzlich, daß seine intelligente, aufgeweckte Tochter in der Schule nachließ und an psychosomatischen Störungen, etwa einem chronischen Husten, litt, woraufhin er das erste Mal zu den Anonymen Alkoholikern ging. Zwei Monate später war er mit Sarah nach Woodfield gezogen.
    Als er etwas später und nach drei Tassen starken Kaffees in ihrer Küche R.J.s Geschichte gehört hatte, nickte er. »Diese Hügel sind voller Überlebenskämpfer«, sagte er.

Sprechzeiten
    Es war ein heißer Morgen Ende Juni, als sie von Cambridge wegzog, und am Himmel standen hohe, dunkle

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