Medicus 03 - Die Erben des Medicus
schon jahrelang Patienten in der Praxis begrüßen.
»Morgen, Toby!«
»Morgen, George!«
»Morgen, Peg!«
Peg Weiler wußte genau, was sie zu tun hatte: Sie führte ihn in eines der beiden Untersuchungszimmer, füllte das Deckblatt seiner Patientenkarte aus, maß seine Vitalfunktionen und notierte die Daten.
R.J. genoß es, sich entspannt die Krankengeschichte von George Palmer anzuhören. Anfangs würde jeder Praxisbesuch viel Zeit erfordern, war doch jeder Patient neu für sie, und sie würde sich gründlich über ihn informieren müssen.
In Boston hätte sie Mr. Palmer mit seiner Schleimbeutelentzündung für eine Kortisoninjektion zu einem Orthopäden geschickt. Hier gab sie ihm die Spritze selbst und forderte ihn auf, sich einen neuen Termin geben zu lassen.
Als sie den Kopf ins Wartezimmer steckte, zeigte Toby ihr einen Strauß Sommerblumen, den ihr Vater geschickt hatte, und einen riesigen Ficus benjaminus von David Markus. Sechs Leute saßen im Sprechzimmer, drei von ihnen hatten keinen Termin.
Sie trug Toby auf, bei der Patientenreihenfolge Prioritäten zu setzen. Wer akute Schmerzen hatte oder ernsthaft krank war, den sollte sie vorziehen und den anderen den frühestmöglichen Termin geben. Plötzlich erkannte sie, mit einer Mischung aus Erleichterung und Bedauern, daß ihr nun doch keine Zeit für eine Pause blieb. Sie bat Toby, ihr von Sotheby's ein Kaiserbrötchen mit Käse und einen großen koffeinfreien Kaffee zu bringen. »Ich werde die Mittagspause durcharbeiten.« Peg und Toby meinten, sie würden ebenfalls durcharbeiten und sich wohl besser auch Sandwiches bestellen. »Auf meine Rechnung«, sagte R.J. fröhlich zu Toby.
David Markus
Er lud sie zum Abendessen zu sich nach Hause ein. »Wird Sarah auch da sein?«
»Sarah ist bei einem großen, offiziellen Essen ihres High-School-Kochclubs«, sagte er und sah sie nachdenklich an. »Können Sie nicht in mein Haus kommen, wenn keine dritte Person anwesend ist?«
»Unsinn, natürlich komme ich. Ich hatte nur gehofft, daß Sarah dabei sein würde.«
Sie mochte das Haus der beiden, die Wärme und Freundlichkeit der dicken Holzbalken und der alten Möbel. An den Wänden hingen viele Gemälde, Arbeiten von Künstlern aus der Umgebung, deren Namen ihr nichts sagten. Er führte sie herum. Küche mit Eßecke, ein Büro voller Maklerkram, ein Computer, eine große graue Katze, die auf seinem Schreibtisch schlief.
»Ist die Katze auch jüdisch - so wie das Pferd?«
»Das ist sie tatsächlich.« Er grinste. »Wir haben sie zusammen mit einem verwilderten, liebestollen Kater bekommen, von dem Sarah behauptet hat, er sei ihr Gefährte. Aber der Kater hat's nur ein paar Tage ausgehalten und hat sich dann aus dem Staub gemacht, und so hab' ich die Katze Agunah getauft, Das ist Jiddisch für verlassene Ehefrau.«
Sein mönchisches Schlafzimmer. Und doch kam ein klein wenig sexuelle Spannung in ihr auf, als sie das Doppelbett mit der Sprungfedermatratze sah. An der Wand stand ein Regal voller Bücher über Geschichte und Landwirtschaft, daneben ein Schreibtisch mit einem Computer und dem dicken Stapel eines Manuskripts. Auf R.J.s Drängen hin gab David zu, daß er an einem Roman schreibe über das Sterben der kleinen landwirtschaftlichen Betriebe in Amerika und über die ersten Farraer, die sich in den Hügeln von Berkshire niedergelassen hatten.
»Ich habe schon immer Geschichten erzählen wollen. Nach Natalies Tod habe ich beschlossen, es zu versuchen. Ich muß ja Sarah versorgen und bin deshalb auch nach dem Umzug im Immobiliengeschäft geblieben. Aber hier draußen leidet man als Makler ja nicht gerade unter Streß. Ich habe viel Zeit zum Schreiben.«
»Und wie läuft's?«
»Na ja...« Er lächelte und hob die Schultern.
Sarahs Zimmer. Schrecklich bunte Vorhänge an den Fenstern; von Sarah selbst gebatikt, wie er sagte. Zwei Poster von Barbra Streisand. Über das ganze Zimmer verstreut Kästen mit Steinen: großen Brocken, kleinen Kieseln, mittleren Steinen - aber alle hatten annähernd die Form eines Herzens. Geologische Valentinsgrüße.
»Was sind das für Steine?«
»Sie nennt sie Herzsteine. Sie sammelt sie schon von klein auf.
Natalie hat sie draufgebracht«
R.J. hatte an der Tufts University ein Jahr lang Geologie belegt Als sie sich jetzt die Kästen genauer ansah, glaubte sie Quarz, Tonschiefer, Marmor, Sandstein, Basalt, Kupferschiefer, Feldspat, Gneis, Plattenkalk und sogar einen Granat identifizieren zu können, jedes Exemplar in
Weitere Kostenlose Bücher