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Meeres-Braut

Titel: Meeres-Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
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Morgen. Sie stand auf und begab sich zum Baden in den Teich. Wieder erschienen die törichten wilden Frauen und wollten sich einmischen, so daß sie noch ein paar von ihnen fraß und die anderen wegwehte. Sie beendete ihr Bad, nahm noch einen Schluck von dem warm schmeckenden Weinwasser und begab sich ans Ufer. Dort schüttelte sie sich trocken, spreizte die Flügel und wollte abheben.
    Wieder gelang es ihr nicht. Ihre Flügel schlugen wütend die Luft, wehten eine riesige Staubwolke auf, doch sie hob einfach nicht ab. Es war, als wäre sie an den Boden gefesselt. Sie konnte nicht fliegen.
    Eine große Schlange kam gleitend auf dem Weg heran. Dies war kein weiterer Speisehappen, sondern ein möglicher Gegner. Roxanne bereitete sich auf einen Kampf vor.
    »Nicht doch«, sagte die Schlange in Vogelsprache. »Ich bin nicht gekommen, um mich zu streiten, sondern um Rat zu geben.«
    Roxanne reagierte erstaunt. »Wie kommt es, daß du meine Sprache sprichst?« krächzte sie.
    »Ich bin der Python vom Parnaß«, erwiderte er. »Ich spreche alle Sprachen, denn es ist meine Pflicht, diesen Berg vor Eindringlingen zu beschützen. Die Mänaden haben mich informiert, daß du Schwierigkeiten machst.«
    »Wie, die wilden Frauen? Die schmecken doch gut, wenn man sie in Wein taucht.«
    »Zugegeben. Aber auch sie gehören zu den Wächtern des Berges, da sollte man ihnen nicht allzu kräftig weh tun, damit sich ihr Vorrat nicht erschöpft. Das würde mich meiner leckersten Häppchen berauben. Ich muß dich doch bitten, deine Raubzüge unter ihnen einzustellen.«
    »Das werde ich gern tun, sobald ich von diesem Ort fortfliegen kann. Ich wollte ohnehin nicht hierbleiben, aber unterwegs ist mir doch etwas Merkwürdiges passiert, als ich nämlich auf dem Weg war, den Rokh auf dem Gipfel zu besuchen.«
    »Das ist kein Rokh. Das ist der Simurgh, das älteste Lebewesen von Xanth und im Reich der Sterblichen. Sie ist die Hüterin des Samens, und sie sitzt im Samenbaum, von wo aus sie den Berg vor Eindringlingen aus der Luft schützt. Sie gestattet hier auch keine Flügelungeheuer. Du bist eingedrungen, da hat sie dich an den Boden gefesselt.«
    »Mich an den Boden gefesselt! Aber ich bin doch nur gekommen, um hallo zu sagen. Ich wußte doch gar nicht, daß sie es mit Besuchern so peinlich genau nimmt.«
    »Jetzt weißt du es aber«, erwiderte der Python.
    »Na, dann sag ihr doch, sie soll den Zauber wieder aufheben, und ich fliege weg. Ich möchte ganz bestimmt nicht mit jemandem zu tun haben, der so unfreundlich ist.«
    »Der Simurgh ist nicht unfreundlich. Sie verschafft nur dem Gesetz Geltung. Sie hat nicht die Geduld, jene in Ruhe zu erziehen, die aus irgendeinem Grund mit ihren Verfügungen nicht vertraut sind.«
    »Soll das heißen, daß sie mich nie wieder fliegen lassen wird?« fragte Roxanne beunruhigt. »Was für eine gemeine Kreatur!«
    »Nicht gemein. Nur streng. Unwissenheit um die Verordnungen ist keine Entschuldigung.«
    »Aber ich kann doch nicht ewig am Boden bleiben!« protestierte Roxanne. »Ich bin doch ein Vogel! Ich muß fliegen können!«
    »Dann wirst du den Simurgh darum bitten müssen, dich von der Bodenbindung zu befreien. Vielleicht ist sie ja milde und berücksichtigt deine Unschuld.«
    Und so kam es, daß Roxanne sich mühsam zu Fuß auf den Gipfel des Parnaß begeben mußte, um dem Simurgh ihr Anliegen vorzutragen.
    DU MUSST ERST DIENST AN DER GEMEINSCHAFT TUN, vernahm sie den mächtigen Gedanken des Simurghs. WENN DU DAS ZUR ZUFRIEDENHEIT GETAN HAST, SOLL DEINE BODENBINDUNG GELÖST WERDEN.
    »Was ist das für ein Dienst?« krächzte Roxanne.
    DU MUSST DICH INS NAMENLOSE SCHLOSS BEGEBEN UND DORT DAS EI AUSBRÜTEN.
    Das schien ihr durchaus möglich zu sein. »Wo ist das Namenlose Schloß?« fragte sie.
    Der Simurgh antwortete ihr nicht unmittelbar. Statt dessen ließ sie eine Feder zucken. Plötzlich war Roxanne dort.
    Das Ei war zwar schön, brauchte aber sehr lange, um ausgebrütet zu werden. Roxanne vergaß die Jahrhunderte zu zählen. Gewissenhaft befolgte sie die Regeln ihres Dienstes: Sie durfte nur solche Besucher auffressen, die sich dem Ei näherten. Manchmal kamen sie in ganzen Gruppen, manchmal allein. Wenn es mehrere waren, sperrte sie die überschüssigen in Käfige, um ihren Appetit später zu befriedigen. Die Zeiträume zwischen solchen Besuchen konnten kurz oder lang sein. Das spielte keine Rolle. Zwischendurch schlummerte sie. Irgendwie schien es zu funktionieren. Sie hatte zwar immer ein wenig

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