Meeres-Braut
an den Rand des Käfigs und ließ sie sanft herunter, während sie sich die ganze Zeit selbst dafür verabscheute. Sie mußte irgendeine andere Möglichkeit finden, sie loszuwerden.
Okra sprang selbst hinterher, dann trug sie die beiden Wesen nacheinander zu dem Loch im Boden. Wieder ließ sie sie herunter, während Ida sich nach unten begab, um das Geschirr abzustreifen.
Endlich holten sie das Koboldmädchen und ließen es ebenfalls zu den anderen herab. Jetzt waren alle drei in Sicherheit, denn der Vogel Rokh war zu groß, um durch das Loch zu passen.
Nun war die Zeit gekommen, sich mit den Rokh zu befassen. Ida blieb unten bei den anderen drei, während Mela und Okra sich rüsteten, dem großen Vogel entgegenzutreten. Wenn Roxanne versuchen sollte anzugreifen, würde Okra sie wieder verlangsamen. Doch im Augenblick war es erforderlich, daß sie alle dieselbe Zeitgeschwindigkeit hatten.
Okra hielt den Zeitkrautsamen hoch. »Mach uns langsamer, bis wir wieder normale Geschwindigkeit haben«, sagte sie zu ihm.
Das war der falsche Befehl. Der riesige Vogel, der eben noch vom Zauberstab des Koboldmädchens in der Schwebe gehalten worden war, krachte federstiebend zu Boden. Roxanne blinzelte und sah sich um.
Okra fiel ein, daß Roxanne es ja vor einem Moment noch mit einem Koboldmädchen zu tun gehabt hatte, das einen Stab in der Hand hielt, und nun stand ein Ogermädchen vor ihr. Nun, sie mochte vielleicht blinzeln; sie mochte auch glauben, daß sich das eine in das andere verwandelt hatte. Doch es würde nicht lange dauern, bis sie merkte, daß der Stab verschwunden war.
So geschah es auch. Sie stürzte auf Okra zu.
»Mach sie langsamer!« sagte Okra zu dem Samen. Da erstarrte der Vogel in der Luft, kurz bevor seine Klauen sich um Okra schließen konnten.
Okra trat hinüber zum Hinterteil des Vogels. Mela hatte seitlich von ihr gestanden; jetzt versteckte sie sich unter der Rampe, die zu den verschlossenen Türen führte. »Es ist dein Auftritt«, sagte Mela. »Bring dich immer wieder hinter sie, bis sie lange genug innehält, um dir zuzuhören.«
»Was ist, wenn sie mich nicht versteht?« fragte Okra.
»Dann stecken wir in Schwierigkeiten. Möglicherweise müssen wir den Zeitkrautsamen hier zurücklassen, während der Rokh verlangsamt ist, und können nur darauf hoffen, daß die Wirkung erst nachläßt, nachdem wir uns in Sicherheit gebracht haben.«
Darüber dachte Okra nach. »Ich will es mal prüfen«, sagte sie. Sie legte den Samen ab.
Sofort setzte sich der Rokh wieder in Bewegung. Der Vogel prallte auf den Boden, die Klauen schlossen sich um das Nichts.
Hastig nahm Okra den Samen wieder auf, worauf die Bewegung des Vogels sofort wieder endete. Jetzt hatte sie Gewißheit: Der Samen gehorchte nur jenem, der ihn in der Hand hielt. Wenn sie versuchten ihn zurückzulassen, würde Roxanne ihn bekommen und in der Lage sein, die nach unten Flüchtenden zu bremsen, und dann wären sie alle in ihrer Macht.
»Wir stecken also tatsächlich in Schwierigkeiten«, bemerkte Mela.
Okra hatte eine andere Idee. »Samen, beschleunige den Rokh auf ungefähr dreiviertel seiner Geschwindigkeit.« Oger konnten eigentlich keine Bruchrechnung, aber weil sie so furchtbar undumm war, verstand sie sich doch darauf. Das war eins der vielen Dinge, für die sie sich insgeheim schämte.
Der Vogel beendete seinen Sprung und glitt über den Boden. Dann merkte Roxanne, daß sie ihre Beute verfehlt hatte, sie gewann ihr Gleichgewicht zurück und sah sich um. Ihre Bewegungen waren jetzt einigermaßen langsam, so als hätte sie es nicht eilig. In normalem Tempo wären sie beängstigend schnell gewesen.
»Roxanne!« rief Okra. »Wir müssen uns unterhalten!«
Der Vogel wandte sich um, spannte die Muskeln und sprang Okra erneut an. Diesmal trat Okra beiseite, und Roxanne verfehlte sie. Die Geschwindigkeitsverringerung war gerade richtig; Okra hatte jetzt die besseren Reflexe und konnte den Angriffen ausweichen.
»Wir müssen uns unterhalten«, wiederholte Okra.
Doch der Vogel wollte nicht zuhören. Er glaubte weiterhin, er könnte sie noch erwischen.
»Du mußt uns beschleunigen«, sagte Mela. »Wir müssen mit den Leuten sprechen, die wir gerade befreit haben, damit sie den Stab für uns anwenden können. Dann können wir den Vogel wieder in der Luft schweben lassen und ihn zwingen, uns zuzuhören.«
Gute Idee! Okra beschleunigte die beiden, und der große Vogel erstarrte. Sie kletterten durch das Loch zu den anderen vier
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