Meeres-Braut
doch nun sah es erwachsen und schön aus. Sie wirkte beinahe ebenso wunderbar wie am Tag ihrer Heirat mit Dolph, als das magische Hochzeitskleid sie aus einem Nichts in eine Schönheit verwandelt hatte.
»Ihr scheint überrascht zu sein«, bemerkte Königin Irene. Che blickte sich schuldbewußt um, da merkte er, daß sie mit Gwenny und Jenny sprach, die beide den Mund aufgesperrt hatten. Das war ihm eine Erleichterung; denn beinahe hätte Ches Mund dasselbe getan.
»Electra ist so völlig anders«, bemerkte Jenny. »Gerade eben trug sie noch Blue Jeans.«
»Wir haben die Kunst des Kompromisses erlernt« erklärte Königin Irene. »Bei Tag und zu formlosen Anlässen kleidet Electra sich, wie es ihr beliebt, und verhält sich auch so. Am Abend, und wenn es förmlich wird, kleidet sie sich entsprechend an. Schließlich ist sie ja jetzt eine Prinzessin.«
»Ich frage mich, ob ich wohl jemals so werden werde«, murmelte Gwenny ehrfürchtig.
»Aber gewiß wirst du das, meine Liebe, wenn du erst Häuptling geworden bist«, versetzte Königin Irene. »Deine Mutter hat ein hervorragendes Händchen für Kleider und Manieren.«
Tatsächlich war sie schon jetzt nicht mehr weit davon entfernt, überlegte Che. Wie alle weiblichen Kobolde war auch Gwenny zierlich und hübsch, und das Kleid, das sie trug, verlieh ihr ein gewinnendes Äußeres. Doch das wußte sie nicht, was wahrscheinlich einen Teil ihrer Anziehungskraft ausmachte.
Sie aßen mit gutem Appetit, denn die ganzen Früchte im Hain, die sie so arg in Versuchung gebracht hatten, wurden nun aufgetragen. Es gab sogar einen hübschen Teller Katzenleckerchen für Sammy. Che erkannte, daß Königin Irene darauf geachtet hatte, ihren Gästen einen angenehmen Aufenthalt zu bereiten.
Aber weshalb sollte die Königin sich soviel Mühe machen? Schließlich waren sie bloß drei gewöhnliche Wesen, unterwegs in einer privaten Mission, die doch wohl kaum eine königliche Behandlung verdient hatten.
Nein, das stimmte nicht so ganz. Sie waren schon etwa Besonderes: Jenny war die Vertreterin einer Elfenart, die man noch nie zuvor in Xanth gesehen hatte und deren Geschichte noch ungeschrieben war. Sie hatte spitze Ohren und vier Finger, und in seinem eigenen Reich konnte ihr Volk von Geist zu Geist miteinander kommunizieren. Gwenny hatte die Gelegenheit, zum ersten weiblichen Häuptling eines Koboldstamms zu werden, was die Beziehungen zwischen den Kobolden und anderen Arten ebenso dramatisch verändern könnte, wie es der Kleiderwechsel bei Electra getan hatte. Und Che selbst sollte einmal den Lauf der Geschichte Xanths verändern, auf eine Weise, die noch nicht so genau ermittelt worden war. Vielleicht würde er maßgeblich dazu beitragen, Gwenny zur Erlangung der Häuptlingswürde zu verhelfen, vielleicht geschah es aber auch auf andere Weise. So waren die drei zwar jung, aber alles andere als gewöhnlich, und das wußte Königin Irene sehr gut. Möglicherweise hatten sein Vater und seine Mutter die Königin darüber informiert, daß sie unterwegs waren; erwachsene Zentauren überließen nur wenig dem Zufall. Dennoch wußte Che die Höflichkeit, mit der sie behandelt wurden, sehr zu schätzen.
Nach der Mahlzeit lud Electra sie dazu ein, sich in Prinzessin Ivys altem Zimmer mit ihr und ihren Töchtern zu treffen, um sich den magischen Wandteppich anzuschauen. Sie trug die Zwillinge in einem großen Korbkinderbettchen herein. »Es macht ihnen Spaß, ihn zu beobachten«, erklärte Electra. »Deshalb sehen wir ihn uns an, bevor sie sich nachts schlafen legen. Das ist immer interessant.«
Der Teppich erwies sich als großes Webbild von Schloß Roogna, das an einer Wand hing. Er war damals zu Electras Zeit, vor beinahe neunhundert Jahren, von der Zauberin Tapis angefertigt worden. Die Zauberin hatte ihn dem Zombiemeister als eine Art Puzzle überreicht, der seine Funktion erst erkannte, nachdem er ihn zusammengesetzt hatte. Nun lebte der Zombiemeister in der Gegenwart, hatte aber entschieden, den Wandteppich dort zu belassen, wo er am nützlichsten war, nämlich auf Schoß Roogna. Er war bei der Erziehung von Prinzessin Ivy und Prinz Dolph von großem Nutzen gewesen.
Denn der Webteppich zeigte kein festes Bild. Vielmehr veränderte er sich ständig, um Ausschnitte aus der Geschichte Xanths oder gegenwärtige Ereignisse wiederzugeben. So war es möglich, anderen nachzuspionieren, obwohl gute Leute so etwas natürlich niemals täten. Doch machte es den Teppich zu einem
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