Meeres-Braut
gefangenen Mädchen?« fragte Okra. »Ist das etwa recht, sie hier zurückzulassen?«
Mela furchte die Stirn. »Das muß natürlich ausgerechnet dir einfallen! Nein, das ist überhaupt nicht recht. Wir müssen versuchen, ihr zu helfen.«
Mela hob ihre beiden Feuerwasseropale und trat an den Kristall heran. Wäßriges Feuer schoß hervor und badete den Stein. Der Stein begann zu schimmern und an den Ecken zu schmelzen, doch das Mädchen in seinem Innern blieb gefroren. Die Opale waren nicht kräftig genug für diese Aufgabe.
»Vielleicht kann ich sie herausschneiden«, meinte Okra. Sie zog ihr Messer und machte sich damit über den Kristall her. Splitter lösten sich und fielen zu Boden, doch schon bald war das Messer stumpf, während der große Kristall fast völlig unversehrt blieb.
»Vielleicht geht es ja mit meinem Sirenengesang«, schlug Mela vor. Sie öffnete den Mund und sang ihre wunderschöne, gespenstische Melodie. Der Kristall begann zu schimmern und strahlte regenbogenfarbenes Licht ab, doch es brachte ihn weder zum Brechen noch zur Auflösung.
Mela gab es auf. »Vielleicht kannst du es ja mit deiner Stimme schaffen«, meinte sie. »Versuch es einmal, indem du ogerlaut singst.«
Okra sperrte den Mund auf. Ein merkwürdiges Gefühl überkam sie. Sie sang einen Ton, dann noch einen höheren, dann immer höhere. Die Töne kletterten bis zum hohen und noch höher hinauf, bis sie schließlich durch das Dach verschwanden und nicht mehr zu hören waren. Nun herrschte Schweigen – doch Okra war immer noch am Singen.
»Das ist ja dein magisches Talent!« rief Mela. »Du besitzt eine Überschallstimme!«
Der Kristallblock erzitterte und barst. Plötzlich brach er auseinander, und da stand die junge Frau nun, frei, köpfschüttelnd und blinzelnd.
Doch nun begann die schwere Steintür des Gartenschuppens sich zu schließen, nachdem sie ihren Stopper verloren hatte. »Raus hier!« schrie Mela besorgt.
Die junge Frau schüttelte lediglich verwirrt den Kopf.
Okra handelte. Sie stürmte hindurch, nahm das Mädchen auf und trug es hinaus, bevor die Tür sie einsperren konnte. Mela folgte ihr. Zu dritt standen sie schweratmend da, während hinter ihnen die Tür krachend ins Schloß fiel.
Okra setzte die junge Frau ab. »Wie heißt du?« fragte Mela sie.
Die junge Frau atmete tief durch, worauf der Kleiderstoff um ihren Busen in einem silbrigen Ägäisgrün zu schimmern begann, das genau auf ihr jadegrünes Haar und ihre wassergrünen Augen abgestimmt war. »I… da… da… ich…«
»Ida?« fragte Mela.
»Weiß es nicht«, endete sie.
»Ach so.« Die Meerfrau dachte nach. »Na, dann wollen wir dich einfach Ida nennen. Ich bin Mela Meerfrau und das hier ist Okra Ogerin. Wir haben dich gerade aus grausamer Gefangenschaft gerettet.«
»Ha-hallo«, sagte Ida. »Danke.«
»Und jetzt müssen wir alles über dich in Erfahrung bringen«, fuhr Mela fort. »Damit wir dir helfen können. Wo willst du denn hin?«
Ida schüttelte den Kopf. »Hin?« fragte sie verständnislos!
»Na gut, wo kommst du denn her?«
Ida spreizte die Hände. »Ich bin mir nicht sicher.«
Mela warf Okra einen Blick zu. »Ich glaube, wir haben ein Problem.«
Aber Okra hatte dazu noch eine Idee. »Vielleicht will sie ja den Guten Magier aufsuchen, genau wie wir, um ihr Leben in Ordnung zu bringen.«
»Ist das so?« erkundigte sich Mela.
»Ja, ich denke schon. Sofern ich den Weg finde.«
Mela lächelte. »Zufälligerweise sind wir auch gerade damit beschäftigt, den Weg zu finden. Du kannst dich uns also anschließen, und der Gute Magier wird schon wissen, was zu tun ist.«
Ida nickte. »Ja, das gefällt mir.«
»Aber der Weg ist jetzt versperrt«, wandte Okra ein. »Die Tür hat sich geschlossen, als wir den Block herausholten.«
»Vielleicht gibt es ja noch eine andere Strecke«, meinte Mela. »Wir müssen einfach zurückgehen und nachsehen.«
Also machten sie sich auf den Rückweg. Mela ging voran, gefolgt von Ida, während Okra die Nachhut bildete. Einmal mehr begannen die Gedanken im Inneren ihres Schädels umherzugaloppieren, prallten am Knochen ab und gerieten in ein heilloses Durcheinander. Wie seltsam das doch war – einer so elegant gekleideten jungen Frau zu begegnen, die in einem Kristall eingesperrt war!
4
Che
Schloß Roogna wurde von seinem großen Obsthain geschützt. Che wußte natürlich darum, denn es gehörte zum Unterrichtsplan der Zentauren. »Wir müssen dafür sorgen, daß die Bäume wissen, daß wir ihre
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