Meeres-Braut
Freunde sind«, sagte er. »Sonst verschieben sie ihre Äste und lassen uns nicht durch.«
»Ach, was!« widersprach Jenny. »Bäume verschieben ihre Äste doch nur bei kräftigem Wind.« Forsch ging sie ein Stück des Wegs voran.
Da schwangen sich Äste rechts und links vom Weg herbei und versperrten ihn.
»Na ja, vielleicht doch«, meinte sie und wich zurück. »Ich habe vergessen, daß es hier ganz anders ist als dort, wo ich herkomme.«
»Wie wollen wir ihnen denn mitteilen, daß wir Freunde sind?« erkundigte sich Gwenny.
»Indem wir unsere Namen nennen und ihnen sagen, weshalb wir unterwegs sind«, erklärte Che. »Wenn sie uns erst einmal kennen, werden sie uns nicht mehr belästigen.«
Also trat das Koboldmädchen an die gekreuzten Äste heran. »Ich bin Gwendolyn Kobold, Erbin des Häuptlingsamts vom Koboldberg, unterwegs, um dem Guten Magier eine Frage wegen eines Gegenstands zu stellen, den ich benötige, um tatsächlich der erste weibliche Häuptling unter den Kobolden zu werden.«
Das Laubwerk der Bäume raschelte. Kurz darauf hoben sich die beiden starken Äste, um sie durchzulassen. Doch hinter ihr senkten sie sich sofort wieder.
Nun trat Jenny wieder heran. »Ich bin Jenny aus der Welt der Zwei Monde. Ich bin Gwennys Freundin und möchte ihr helfen.«
Wieder raschelte das Laub, dann hoben sich die Äste erneut, um sie hindurchzulassen.
Jetzt trat Che heran. »Ich bin Che Zentaur, Gwennys Gefährte. Möglicherweise ist es mein Schicksal, dabei behilflich zu sein, den Lauf der Geschichte Xanths zu verändern.«
Auch ihn ließen die Bäume passieren. »Danke«, sagte er noch.
Sie zogen weiter durch den Hain, wo alle möglichen Bäume mitsamt ihren Früchten wuchsen. Es gab Kirschen verschiedenster Sorten, von Schokoladen- bis zu Kirschbomben, ebenso Zitronen- bis Kuhpasteten, dazu Fußbekleidungsbäume, die vom Stiefel bis zur Damensandale alles boten. Diese Bäume brachten sie stark in Versuchung, als sie sie betrachteten, doch sie wußten, daß sie sich erst auf Schloß Roogna vorstellen mußten, bevor sie etwas berühren durften.
Dann stand das Schloß abweisend vor ihnen, umgeben von einem tiefen Graben. Ein schlangenähnliches Grabenungeheuer hob den Kopf, um sie anzustarren. Doch als es sie erkannte, beruhigte es sich wieder. Schließlich waren sie ja schon einmal hier gewesen. Nur daß sie damals nicht zu Fuß gekommen waren.
Im Innern ertönte ein Schrei. Kurz darauf kam eine junge Frau in Blue Jeans mit wehenden Zöpfen herausgelaufen, die Hemdzipfel flatterten ihr aus der Hose. »Che! Gwenny! Jenny!« rief sie.
Das war Electra, die erste Prinzessin Xanths, die eine solch legere Kleidung zu tragen pflegte. Zwei Jahre zuvor waren sie bei ihrer Vermählung gewesen. Tatsächlich war sie zwanzig Jahre alt, sah aber aus wie sechzehn. Das war auch gut so, denn ihr Ehemann, Prinz Dolph, war erst siebzehn, und Frauen sollten doch eigentlich jünger als Männer sein, wenn sie es aber nicht waren, mußten sie eben so tun als ob. Che wußte nicht so recht, woher diese Regel eigentlich stammte, aber irgendwo stand sie nun einmal im großen Buch der Regeln niedergeschrieben.
Electra umarmte sie alle, dann führte sie sie ins Schloß. Sie brachte sie ins Kinderzimmer, um mit den Zwillingsmädchen zu prahlen, die der Storch ihr gebracht hatte: Morgen und Abend. Es fiel schwer sich vorzustellen, daß diese mit mädchenhaften Sommersprossen bedeckte Person Prinzessin und Mutter war, doch das war sie nun einmal, und es war nicht zu übersehen, daß ihr diese Rolle großes Glück bereitete.
Sie bekamen ein gemeinsames Zimmer zugewiesen, und Che blickte aus dem Fenster, während die Mädchen sich badeten und umzogen. Zentauren hatten zwar nicht dieselben Sitten wie Menschen, achteten sie aber, wenn sie sich in menschlicher Gesellschaft befanden. Deshalb bemühte er sich auch gar nicht erst, einen Blick auf irgendwelche Höschen zu werfen, so groß die Versuchung auch war.
Dann brachte man sie zum Essen in den großen Speisesaal. Dort trafen sie auf König Dor und Königin Irene, die beide sehr freundlich zu ihnen waren. Prinz Dolph war auch da, er sah ein wenig zerrupft aus. Dann erschien auch Electra, und Che erkannte sie im ersten Augenblick gar nicht, weil sie sich verwandelt hatte.
Sie trug ein fahlgrünes Gewand, das mit goldenen Flecken übersät war, im Haar ein Diadem, während ihre Füße in zierlichen Damenpantoffeln steckten. Zwar war ihr Gesicht noch immer von Sommersprossen bedeckt,
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