Meeres-Braut
zwei Jahren war sie runder und weicher geworden. Aber das war doch bestimmt irrelevant.
»Oh, du tust es also nicht«, hauchte Gwenny. »Dann muß ich mich wohl mehr anstrengen.« Sie nahm ihre Brille ab und strich sich mit den Händen das Haar zurück. Dann umarmte sie ihn wieder, diesmal noch enger, so daß zwischen ihren Leibern kein Freiraum mehr blieb. Sie griff hinauf und zog seinen Kopf zu sich herunter, strich ihm über das Haar und verpaßte ihm Xanths feuchtesten Kuß. »Bist du dir jetzt sicher?« Ihre Miene war ernst, doch er wußte, daß sie sich anstrengen mußte, ihr Lachen zu unterdrücken. Das war ein Lieblingsspiel – das törichte Verhalten der Erwachsenen nachzuahmen.
Er mußte sich selbst anstrengen, um nicht loszuprusten. »Naja…«
»Genug!« rief Jenny kichernd. Auch die Zwillinge schienen zu lächeln, wie sie anstelle des Wandteppichs die Entschuldigung mitverfolgten. Ebenso Sammy. »Ihr meint, daß Electra und Dolph das gerade tun? Küssen?«
»Mehr als das, vermute ich«, meinte Jenny in gespieltem Ernst, während sie ihre Brille wieder anlegte, um klar sehen zu können. »Aber ich gehöre der Erwachsenenverschwörung nicht an, so daß ich nicht genau weiß, was. Ich schätze aber, daß es ihnen Spaß macht.«
»Diese Erwachsenenverschwörung ist ja vielleicht langweilig«, meinte Jenny. »Was halten die eigentlich nur für so ein großes Geheimnis?«
»Ich weiß es selbst nicht genau«, meinte Gwenny. »Aber es scheint mit der Frage zu tun zu haben, weshalb Männer so gern Wesen wie Mela Meerfrau anschauen.«
Nun blickten sie gemeinsam wieder auf Mela im Wandteppich, deren Körper nicht mehr unscharf war. Doch so sehr Che sich auch mühte hinzustarren, begriff er einfach nicht, weshalb Männer es vorzogen, eine Meerfrau anzusehen anstatt etwas wirklich Interessantes, beispielsweise einen Drachen, einen Pastetenbaum oder eine mathematische Gleichung.
In der Zwischenzeit ging das Geschehen im Bild weiter. Mela und die andere Frau versuchten gerade, den Kristallblock aufzubrechen, denn es schien, daß er irgend etwas enthielt, was sie haben wollten. Dabei waren sie nicht sonderlich erfolgreich.
»Aber wir sollten doch eigentlich Okra Ogerin sehen«, klagte Jenny.
Da wurde Che plötzlich etwas klar. Im Raum wurde es mit einem Mal heller, als eine unsichtbare Birne über seinem Kopf aufblitzte. »Diese große Frau da – das ist die Ogerin!«
Gwenny und Jenny musterten sie eindringlich. »Aber die ist doch weder groß noch häßlich genug!« wandte Gwenny ein. »Sie sieht eher aus wie eine große Menschenfrau.«
Che aber hatte sich inzwischen auf besondere Merkmale konzentriert. »Ich glaube doch, daß es eine Ogerin ist«, meinte er. »Ihr besonderer Knochenbau, ihre Bewegungsabläufe – die weisen alle auf eine Ogerherkunft hin. Aber sie muß die kleinste, schwächste und am wenigsten häßliche aller Ogerinnen sein.«
»Vielleicht hatte sie ja eine schlimme Krankheit«, schlug Gwenny vor. »So daß sie den Ogeranforderungen nicht genügte und rausgeworfen wurde.«
»Vielleicht hätte sie also doch die Rolle bekommen sollen«, warf Jenny ein. »Vielleicht hätte sie die Hauptdarstellerin werden sollen, so…«
»Und wo wärst du dann, wenn das geschehen wäre?« fragte Gwenny in scharfem Ton.
»Auf der Welt der Zwei Monde«, erwiderte Jenny. Ihre Miene verdüsterte sich. »Bei meiner Familie, versehen mit der Fähigkeit, Gedanken…«
»Ohne deine Brille«, warf Che schnell ein.
»Oder deine neuen Freunde«, fügte Gwenny hinzu.
Jennys Miene hellte sich wieder auf. »Das ist wahr. Aber trotzdem war es ungerecht, sie auszuschließen…«
»Wir wissen nicht, weshalb man dich auserwählt hat, hierherzukommen, oder wer es tat«, wandte Che ein. »Aber es muß dafür einen guten Grund gegeben haben. Eines Tages werden wir ihn erfahren. Bis dahin können wir uns darüber kein Urteil bilden.«
»Ich schätze, du hast recht«, stimmte sie zu. Sie blickte wieder auf das Bild. »Zeigt es uns, was gerade geschieht?«
»Das glaube ich nicht«, meinte Che. »Soweit ich weiß, zeigt der Webteppich meistens Ereignisse in der Vergangenheit, so daß dies vor ein paar Tagen gewesen sein könnte. Aber jetzt ist Nacht; es ist möglich, daß die Ogerin gerade schläft, so daß der Teppich sie vor ein paar Stunden gezeigt hat, als sie noch tätig war.«
»Ich frage mich nur, was wohl in diesem Block gewesen sein mag«, bemerkte Gwenny.
»Wenn wir wüßten, wie man mit dem Webteppich
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