Meeres-Braut
hochinteressanten Gegenstand.
»Was möchtet ihr denn gern sehen?« fragte Electra. »Den Zwillingen ist es gleich, was gezeigt wird; sie sind noch zu jung, um wählerisch zu sein.« Tatsächlich sahen die Zwillinge im Augenblick überhaupt nicht auf den Wandteppich; vielmehr beobachteten sie Sammy Kater, der sich in ihrem Korbkinderbettchen zu ihnen gesellt hatte. Dort spielte er mit einem losen Faden ihrer Decke.
Gwenny zuckte mit den Schultern, doch Jenny blickte besorgt drein. »Meinst du, er könnte wohl Okra Ogerin zeigen?« fragte sie zögernd.
Sofort veränderte sich das Bild. Jetzt gab es einen merkwürdigen Kristallfelsengarten mit weißen Felsrosen und schafsähnlichem weißem Flachs wieder. Ein Kristallquell strömte einen kleinen Kristallberg hinunter, erzeugte dabei winzige Wasserfälle, bis er sich schließlich unten in einem Teich ergoß. Es war eine wunderschöne Szene.
Doch es waren keine Gestalten darin zu sehen, weder eine Ogerin noch andere. Nur einen Block aus Kristall, der eine Tür offenhielt.
Da erschien eine Gestalt: eine ziemlich große Menschenfrau, mit schwerem Knochenbau und leicht bepelzt. Ihr strohgleiches Haar stach in Knoten und verworrenen Strähnen von ihrem Kopf ab und fiel ihr den Rücken hinab. Begleitet wurde sie von einer kleineren, aber üppigeren Frau, die nur mit Pantoffeln bekleidet war. Ihr Haar war von derselben blonden Farbe, doch die Zöpfe glänzten und waren seidig, nicht stumpf und strickartig.
»Das ist ja Mela Meerfrau!« sagte eine Stimme aus dem Türeingang. Das war Prinz Dolph, der für einen Augenblick vorbeischauen wollte.
»Das ist richtig – Nada hat erzählt, daß du sie kanntest«, bemerkte Electra ohne große Begeisterung.
»Äh, ja«, sagte er und blickte auf das Bild. »Natürlich wollte ich sie nicht heiraten.«
»Weil du damals erst neun Jahre alt warst«, versetzte Electra.
»Aber ich muß zugeben, daß sie sehr hübsche…«
»Lassen wir das!« fauchte Electra. In der Gegend um Melas Oberkörper wurde das Bild plötzlich unscharf, so daß alles, was er zuvor für interessant gehalten haben mochte, dies nun nicht mehr war.
Damit wurden Prinz Dolphs Augen von einem Bann befreit, der wie das Guckloch eines Hypnokürbis auf ihn gewirkt hatte. »Ach, noch einmal wieder neun sein«, murmelte er, als er davonging.
Gwenny und Jenny tauschten Blicke aus, was Che bemerkte. Er wußte, was sie dachten: Ob es das war, was die Ehe einer Beziehung antat?
Dann stand Electra auf. »Hättet ihr etwas dagegen, ein bißchen auf die Zwillinge aufzupassen? Ich muß etwas erledigen.«
Wie es Mädchenart war, waren die beiden froh, auf die Zwillinge aufpassen zu dürfen. Alle Mädchen liebten alle Babys, wie Che bisher hatte beobachten können. Electra eilte hinaus.
»Ich frage mich, was sie wohl so plötzlich zu erledigen haben mag?« meinte Jenny nachdenklich.
»Ich vermute, sie wird sich bei Prinz Dolph entschuldigen wollen«, erklärte Che.
»Entschuldigen? Wofür denn?«
»Für ihre Eifersucht«, erläuterte Gwenny.
»Ach so.« Doch Jenny war nicht ganz zufrieden. »Hätte sie denn nicht einfach hier sagen können, daß es ihr leid tat?«
»Vielleicht hat sie ja eine Entschuldigung nach Art des Kürbisreichs vor«, meinte Che lächelnd.
Jennys Stirn legte sich in Falten. »Geht die anders?«
Diesmal waren es Gwenny und Che, die Blicke wechselten. »Du weißt nicht, wie die Messingmenschen sich untereinander entschuldigen?« wollte Gwenny wissen.
»Eine Entschuldigung ist doch wohl eine Entschuldigung, oder nicht?«
»Ich schätze, wir werden es dir wohl zeigen müssen«, meinte Gwenny mit rätselhaftem Lächeln. »Che?«
So ein ungezogenes Mädchen! Che trat auf sie zu. Er war zwar sieben, und sie war vierzehn, doch er gehörte einer größeren Gattung an, und sein menschlicher Teil war etwas höher gewachsen als sie. »Wer entschuldigt sich bei wem?« fragte er.
»Ich werde mich bei dir entschuldigen«, entschied Gwenny. »So wie es Electra mit Dolph tun wird.«
»Also gut. Dann fang an.«
»Ich verstehe nicht…« begann Jenny.
Gwenny umarmte ihn. »Ich entschuldige mich, Che«, sagte sie gewinnend. Dann preßte sie sich dicht an ihn und küßte ihn auf den Mund.
»Was tut ihr da?« fragte Jenny verwundert.
»Nimmst du meine Entschuldigung an?« fragte Gwenny.
Che schnitt eine Grimasse. »Ich weiß nicht so recht«, sagte er mit einem Lächeln. Tatsächlich war es sehr angenehm, Gwenny so dicht bei sich zu haben. In den letzten
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