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Meeres-Braut

Titel: Meeres-Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
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dort drin keine böse Hexe gibt.«
    Sie eilten Jenny nach, die inzwischen die Zugbrücke überquert hatte und am Haupteingang des Schlosses angelangt war. Die Oberfläche war etwas schwammig, aber fest. Das Tor stand offen, und die Katze jagte hinein.
    Fast wären sie gegen Jenny geprallt, die plötzlich mitten in der Toröffnung stehengeblieben war. Sie starrte in die Höhe.
    Che folgte ihrem Blick mit seinen Augen. Da war ein Riese: genauer, eine Riesin – eine riesige Menschenfrau.
    Sammy, der in dieser Krise keine Hilfe darstellte, hatte sich zu einem Nickerchen unter dem Stuhl der Riesin zusammengerollt.
    »Kommt herein, Kinder«, sagte die Frau mit lieblichem Dröhnen.
    »Sie s-sieht jedenfalls nicht aus wie eine Hexe«, bemerkte Gwenny schwach.
    »Nein, ich bin auch keine Hexe, meine Liebe«, erwiderte die Frau. »Ich bin die archetypische Erwachsene. Ich bin hier, um euch in die Erwachsenenverschwörung einzuweihen.«
    »Nein!« rief Gwenny erschreckt.
    »Wir sind noch viel zu jung«, protestierte Che in einem, wie er hoffte, vernünftigen Tonfall.
    »Zwei von euch stehen kurz davor und einer von euch gehört einer Kultur an, in der andere Normen gelten«, sagte die Erwachsene und blickte auf Che herab.
    »Aber ich bin in Begleitung von Menschsprößlingen, die die Verschwörung achten«, widersprach Che. »Also achte ich sie auch.«
    »Ich habe eine Frage für jeden von euch«, erwiderte die Erwachsene. »Jeder wird für sich antworten. Sollte einer von euch keine oder eine falsche Antwort geben, wird niemand vor den Guten Magier treten dürfen. Ist das verstanden worden?«
    Che sperrte den Mund auf, wollte protestieren, daß diese Logik alles andere als einleuchtend war, doch der Blick der Erwachsenen richtete sich mit einer solchen Wucht auf ihn, daß er eingeschüchtert war. Erst zu spät begriff er, daß es sich um eine rhetorische Frage gehandelt hatte – eine, die nur die von der Fragestellerin gewünschte Antwort zuließ. Er scharrte mit den Vorderhufen. »Ich schätze schon«, meinte er zögernd.
    Der Blick schweifte zu den Mädchen hinüber. Dann begannen auch sie verlegen zu zucken und murmelnd zuzustimmen.
    »Du«, sagte die Erwachsene, gebieterisch an Gwenny gewandt. »Sage, wer du bist.«
    »Ich… ich bin Gwendolyn Kobold aus dem Koboldberg. Ich bin hier, um…«
    »Das genügt völlig. Gwendolyn, was ist die Erwachsenenverschwörung?«
    Gwenny war verblüfft. »Das soll meine Frage sein?«
    »Nein, Liebes. Das ist meine Frage an dich.«
    Che knirschte mit den Zähnen. Diese Erwachsene war so erwachsen, daß es schon wieder weh tat. Immer waren sie so selbstsicher, und darin wiederum so aufdringlich. Doch das konnte ein Kind ihnen niemals sagen, weil sie die Sache immer so verdrehten, daß es so schien, als sei in Wirklichkeit das Kind aufdringlich. Es war unmöglich, vernünftig mit einem Erwachsenen zu reden, weil der Verstand jedes Erwachsenen erstarrt war wie alter Zement.
    »Na ja, das weiß doch jeder…« fing Gwenny an.
    »Nein, Liebes. Ich will nicht jedermanns Antwort haben. Ich will deine Antwort hören.«
    Gwenny zeigte einen Anflug rechtschaffener Rebellion. »Meine Antwort lautet, daß es eine Verschwörung der Erwachsenen ist, um Kindern das Leben schwerzumachen!« sagte sie. »Weil…«
    »Nein, sage mir nicht warum. Nur, was es ist.«
    »Alles, was Kinder wirklich interessiert, wird ihnen von Erwachsenen verwehrt. Zum Beispiel all die guten Worte, mit denen man Pflanzen zum Verwelken bringen und trockenes Gras in Flammen aufgehen lassen kann, und auch die Worte, vor denen die Fluchzecken Respekt haben. Und auch alles, was mit dem Herbeirufen des Storchs zu tun hat. Und dann zwingen sie Kinder dazu, scheußliche Sachen zu essen, zum Beispiel Brokkoli, anstelle der guten Dinge wie Kuchen und Bonbons. Und sie lassen nicht zu, daß ein männliches Kind irgend jemandes Höschen zu sehen bekommt, selbst wenn es richtig hübsche Höschen sind. Oder daß ein weibliches Kind sieht, was eigentlich ein Junge anstelle von Höschen anhat. Und dann zwingen sie die Kinder dazu, früh ins Bett zu gehen, wenn sie noch gar nicht müde sind.«
    Die Erwachsene nickte in distanzierter Geduld. Das erinnerte Che an ein weiteres Erwachsenenärgernis: Sie lobten die Bemühungen eines Kindes nur selten, es sei denn, sie waren heuchlerisch, beispielsweise, indem sie »sehr gut!« sagten, wenn es dem Kind gelungen war, etwas so Widerliches wie Rosenkohl herunterzuwürgen. Jetzt wandte sie sich an Jenny.

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