Meeres-Braut
vorzustellen, wie das wohl wäre, solche Linsen zu besitzen. Sie malte sich aus, wie sie mit einem solchen Paar ohne ihre Brille umher spazierte. Sie würde sich nackt vorkommen, weil sie ihre Brille schon trug, seit sie nach Xanth gekommen war. So, als hätten sich alle ihre Kleider plötzlich in nichts aufgelöst.
Gwennys Blick richtete sich auf Jenny. »Oh, du bist ja nackt!« rief sie.
»Nein, sie ist noch bekleidet«, widersprach Che überrascht.
Jenny zuckte zusammen. »Du hast meinen Tagtraum geschaut!« rief sie.
»Oh, jetzt bist du wieder bekleidet«, fuhr Gwenny fort. »Ich… deinen Traum?«
»Ich hatte einen Tagtraum«, erklärte Jenny. »Und den hast du auch gesehen – genau wie der Gute Magier es gesagt hat.«
»Das ist ja ein ausgezeichnetes Zeichen«, meinte Che. »Es bedeutet, daß die Linsen genauso funktionieren, wie sie sollen.«
»Aber Träume zu sehen – ist das denn höflich?« wollte Gwenny wissen.
Jenny lächelte. »Das hängt wohl vom Traum ab.«
»Ach so, ja… und einige Leute werden dann erwachsene Dinge träumen«, begriff Gwenny. »Ich wünschte, es hätte noch andere Linsen gegeben.«
»Weißt du, die könnten ziemlich nützlich werden«, überlegte Che. »Im Koboldberg wirst du vor einer schwierigen Lage stehen. Wenn aber die Tagträume der Menschen ihre wirklichen Gefühle offenbaren…«
»Dann könntest du feststellen, ob sie die Wahrheit sagen oder nicht!« warf Jenny ein.
»Natürlich sagen die Leute die Wahrheit«, wandte Gwenny ein.
»Koboldmänner?« versetzte Che.
»Ach so.« Denn männliche Kobolde waren von Natur aus die schlimmsten aller Leute, das genaue Gegenteil von Koboldfrauen. »Aber ich möchte doch niemanden ausspionieren!«
»Hör mal, Gwenny, ein Häuptling muß wissen, was los ist«, widersprach Che. »Du weißt doch, daß Koboldmänner immer irgendwelches Unheil planen. Wie lange, glaubst du, wirst du überleben, wenn du nicht genau weißt, was sie denken!«
»Er hat recht«, bekräftigte Jenny. »Du wirst Häuptling des bösartigsten Männervolks und des nettesten Frauenvolks von allen werden. Wenn du nur ein ganz gewöhnliches Koboldmädchen wärst, könntest du vielleicht so nett bleiben, wie du bist. Aber das ist nicht deine Bestimmung. Und wenn du schon nicht bösartig sein kannst, mußt du wenigstens über Wissen verfügen.«
Gwenny schien immer noch ihre Zweifel zu haben, also redeten sie noch eine Weile auf sie ein. »Du solltest jetzt gleich damit anfangen, den Gebrauch der Linsen zu üben«, schlug Che vor. »Dann erkennst du die Träume der Leute und weißt, ob sie deine Freunde oder deine Feinde sind.«
»Und dann errötest du auch nicht gleich, wenn du mal einen Erwachsenentraum zu sehen bekommst«, fügte Jenny hinzu.
»Aber an wem soll ich denn üben?« fragte Gwenny ohne große Begeisterung. »Die Leute hier sind doch Träume.« Dann fiel ihr noch etwas ein. »Wieso konnte ich überhaupt Jennys Tagtraum sehen? Ich meine, sie ist doch hier im Traumland, wie kann sie da noch träumen?«
Das gab ihnen zu denken, bis Che schließlich die Antwort hatte. »Wir selbst sind aber keine Träume. Wir sind nur zu Besuch hier. Unsere wirklichen Körper liegen im Schloß des Guten Magiers. Deswegen können wir auch durch sie immer noch Träume haben.«
Das schien einzuleuchten. Also versuchte Jenny, einen weiteren Traum herzustellen, doch es gelang ihr nicht. Je mehr sie sich darauf konzentrierte, um so mehr richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt, anstatt zu etwas anderem abzuschweifen.
»Sing doch mal«, schlug Che vor.
Das konnte vielleicht funktionieren! Also begann Jenny zu singen, wobei sie sich eine angenehme Landschaft vorstellte, die völlig anders war als der Friedhof hier. Und es ging! Schon bald wurde die Landschaft für sie selbst wirklich. Dann erschien auch Sammy darin, der sie der »Wirklichkeit« dieses Traumreichs vorzog. Nach einer Weile trat auch Che plötzlich auf, schließlich sogar Gwenny.
Nun spazierten sie durch das Blumenfeld dem strahlenden Sonnenuntergang entgegen. Und neben ihnen schritten einige der Skelette einher, die ziemlich überrascht aussahen.
»Aber ich sehe deinen Traum doch gar nicht«, protestierte Gwenny. »Ich bin in deinem Traum!«
»Und die Skelette auch«, ergänzte Che. »Ich glaube, Jenny hat die Landschaft hier verändert.«
So sah es aus. »Ich nehme an, wir müssen wohl außerhalb des Kürbis üben«, meinte Jenny. »Aber wir können ebensogut hier warten, wo es
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