Meerestosen (German Edition)
Wasser ergossen. – Wenn Major Kesten und Kapitän Ledoux sich nicht ohnehin längst ent schlossen hatten, das Gift abzulassen. Mittlerweile hätte ich es ihnen nicht einmal mehr verübeln können.
Aber noch war es nicht so weit. Noch war Leben im Meer. Zwi schen den Wellen schimmerten die Delfinleiber auf. Es waren nur die Tiere, die sich aus dem Wasser erhoben und in wilden Sprüngen um den Tanker herumtanzten.
Als ich die Küstenstraße passiert hatte und gerade über die Befestigungsmauer springen wollte, war Gordian plötzlich neben mir, riss mich zu Boden und begrub mich unter sich.
»Verdammt noch mal, was soll das?«, fauchte ich. »Wenn ich sage, ich mache das allein, dann mache ich das auch. Und du wirst mich ganz bestimmt nicht davon abhalten!«
Gordys Gesicht war direkt neben meinem. Meine Nase berühr te seine Wange, und ich wagte kaum zu atmen, weil ich befürchte te, dass sein Duft meine Sinne betäuben und mich doch noch von meinem Vorhaben abhalten könnte.
Sei still, Elodie. Ganz still.
Seine Lippen streiften flüchtig über meine. Hätte er nur einen Sekundenbruchteil in seiner Bewegung innegehalten, wäre es ein Kuss gewesen.
Was für ein törichter Gedanke! Denn dass er mich so energisch gegen die Mauer presste, hatte einen völlig anderen Grund.
Für den Augenblick eines Wimpernschlags wurden wir in glei ßend helles Licht getaucht, dann hörte ich das Rumoren eines Motors und das frappende Geräusch von Rotorblättern. Ich be merkte ein Blinken in der Luft und dann flog ein Helikopter über uns hinweg.
Los. Weiter!
Gordy sprang auf und zog mich auf die Beine. Mit einem Satz waren wir auf der anderen Seite der Mauer.
Hand in Hand hetzten wir über den Strand den tosenden Wellen entgegen, die sich bereits über unsere Füße ergossen und unsere Beine in Flossen verwandelten, noch ehe wir richtig abge taucht waren.
Ich erwartete einen beißenden Geschmack in meinem Rachen und einen Kugelhagel, der vom Helikopter aus auf uns nieder prasselte, Blut, Delfin- und Nixleichen, doch nichts davon be wahrheitete sich.
Es ist nur eine Frage der Zeit, sagte Gordian. Früher oder später werden die Menschen sich wehren müssen.
Hektisch verschaffte ich mir einen Überblick über die Situation. Die armeeartige Ordnung unter den Delfinen hatte sich aufgelöst. Tiere und Nixe stoben panisch hin und her. Sie wollten fliehen, aber die Wale versperrten ihnen den Weg hinaus in den offenen Atlantik. Die riesigen Tiere waren aufgebracht und wütend, sie brannten geradezu vor Zorn. Womöglich hatte sich Idis’ Angst vor dem Tanker auf die Delfine und von ihnen wiederum auf die Wale übertragen, die nun ihre mächtigen Schwanzflossen auf und nieder schlugen und auf diese Weise das Meer in einen tosenden Moloch verwandelten.
Keiner der Nixe hat Idis gesehen, zischte Gordy mir zu. Ich habe ihnen gesagt, dass Kyan sterben wird und es jetzt niemanden mehr gibt, der sie an Land führt. Sie werden sich beruhigen und abwarten und niemandem etwas tun, solange die Haie sie nicht angreifen.
Das werden sie nicht, erwiderte ich. Sie wissen, dass sie keine Chance hätten.
Gut, sagte Gordy. Er bemühte sich, zuversichtlich zu wirken, konnte seine Mutlosigkeit aber nicht restlos verbergen. Dann werde ich mal schauen, ob ich so eine Art Leittier unter den Riesen ausmachen kann.
Okay. Ich nickte. Okay.
Auch ich kämpfte um Zuversicht, aber ich hatte gegenüber Gor dian einen entscheidenden Vorteil. Ich war Neeron persönlich be gegnet. Ich hatte die Prophezeiung aus seinem Mund gehört, und ich wollte mich noch immer darauf verlassen, dass das Meer mir wirklich und wahrhaftig alle Fähigkeiten zur Verfügung stellte, die nötig waren, um das drohende Unheil zu verhindern.
Hört mir zu, sagte ich also, während ich Gordy hinterhersah, der auf einen besonders großen Pottwal zuhielt. Ihr braucht keine Angst zu haben. Ich bringe euch hier raus. Bitte vertraut mir und tut, was ich sage.
Ich sprach mit Idis’ Stimme, aber die Delfine reagierten nicht auf mich, sondern schossen weiterhin ängstlich hin und her. Ei nen Moment lang war ich verunsichert, überlegte, ob Kirby wo möglich einen größeren Einfluss auf die Tiere hatte, folgte dann aber einer inneren Eingebung.
Ihr müsst tanzen, flüsterte ich und meine Stimme war nun dun kel und samten wie die von Gordian. Tanzt den entgegengesetzten Rhythmus der Wale. Bringt das Meer zur Ruhe, und ich verspreche euch, es wird euch nichts geschehen.
Ein paar der Tiere
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