Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meerestosen (German Edition)

Meerestosen (German Edition)

Titel: Meerestosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
Vom Netzwerk:
allem, was sie wusste beziehungsweise vermutete, den Schluss gezogen, dass Cyril und ich nur Geschwister sein konnten – und deshalb auch niemals ein Paar werden würden.
    »Du versuchst, die Dinge allein zu regeln«, fuhr sie jetzt etwas energischer fort, ehe ich dazu kam, ihr aufs Neue ihre unbegrün deten Vorbehalte gegen Cyril vorzuwerfen. »Aber das brauchst du nicht.« Einen Moment lang lag ihre Hand sanft und warm auf meiner Schulter. »Warum vertraust du mir nicht?«
    »Aber das tue ich doch. Ich möchte dich nur nicht unnötig …«
    »Belasten?« Tante Grace schüttelte den Kopf. »Denkst du nicht, dass meine alte Seele stabil genug ist, auch diese Kleinigkeit noch zu verkraften?«
    Sie hatte recht. Der Knackpunkt war nicht Cyril, sondern Javen Spinx.
    »Du willst nicht darüber reden«, sagte sie jetzt. »Ich halte das für verkehrt, aber ich akzeptiere es. Die Sache ist nur so …« Tante Grace verdrehte die Augen zur Decke, als hoffte sie, dort die pas senden Worte für ihre Erklärung zu finden. »Deine Mutter … Ich fürchte, sie könnte sehen, wie Cyril sich verwandelt. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie mit diesem Anblick zurechtkommt.«
    »Keine Sorge, er ist äußerst vorsichtig.«
    Meine Großtante zog eine Grimasse. »Ist er eben nicht«, brumm te sie unwirsch. »Er wird uns noch alle in Teufels Küche bringen«, fügte sie unheilschwanger hinzu, und mir war natürlich sofort klar, dass es überhaupt keinen Sinn hatte, mich auf irgendwelche Diskussionen mit ihr einzulassen.
    »Okay, ich rede mit ihm.«
    »Heute«, mahnte sie.
    »Versprochen.«
    Tante Grace nickte. »Gut.«
    Zufrieden wirkte sie allerdings nicht, und mich beschlich das Gefühl, dass ihr noch etwas anderes, womöglich viel Gravierende res auf der Seele lag.
    »Ist noch etwas?«, hakte ich vorsichtig nach.
    »Ja.« Sie seufzte.
    »Na los!«, ermunterte ich sie. »Heraus mit den Hiobsbotschaf ten!«
    Jetzt musste sie lachen.
    »Du hast dich ziemlich verändert, weißt du das?«, sagte sie und strich mir flüchtig mit dem Handrücken über die Wange. »Ein richtig großes Mädchen bist du geworden, das sich nicht mehr so schnell ins Bockshorn jagen lässt und die Dinge anpackt, die erledigt werden müssen.«
    Hast du eine Ahnung!, dachte ich. Wenn es tatsächlich so wäre, hätte ich längst ins Meer zurückgehen und nach Kyan Ausschau halten müssen. Es machte mich verrückt, dass ich nicht sicher wusste, welche Gestalt er derzeit hatte – einerseits. Andererseits wollte ich mich am liebsten gar nicht damit auseinandersetzen. Kyan war Gordys Sache, meine waren die Haie.
    Aber da ich nun ohnehin dazu verdonnert war, mit Cyril ein ernsthaftes Wort zu reden, konnte ich auch darüber mit ihm spre chen. Heute Nacht war Vollmond. Wenn Kyan bisher nicht an Land zurückgekehrt war, würde sich ihm in wenigen Stunden die nächste Gelegenheit dazu bieten.
    »Deine Mutter sitzt draußen auf der Veranda«, drang die Stim me meiner Großtante zu mir vor. »Sie hat es zwar nicht ausdrück lich gesagt, aber ich glaube, sie möchte mit dir zusammen früh stücken.«
    Okay, das war es also, was sie mir mitteilen wollte. Die Zeit der Zurückgezogenheit schien nun endgültig vorbei zu sein. Ich nickte Tante Grace noch einmal kurz zu, bevor ich an ihr vorbei in Richtung Haustür ging und nach kurzem Zögern schließlich in den Garten hinaustrat.
    Mam saß mit dem Rücken in drei dicke Kissen gelehnt auf der Bank und blickte über den üppig gedeckten Frühstückstisch hin weg aufs blaugrüne Meer.
    Die Strahlen der Morgensonne warfen die Schatten der Bäume und Sträucher bis auf die goldgelb schimmernden Klippen hinun ter, die von sanften Wellen umspült wurden.
    Es versprach ein warmer, windarmer Tag zu werden. – Trüge risch.
    Ich schüttelte das dumme Gefühl, das so plötzlich von mir Be sitz ergriffen hatte, entschlossen ab und ging auf meine Mutter zu.
    »Hi«, sagte ich leise und setzte mich auf einen der beiden Stühle ihr gegenüber.
    »Guten Morgen, mein Schatz«, erwiderte sie, so als wäre nie etwas gewesen, kam dann aber zu meiner großen Überraschung ohne Umschweife auf den Punkt. »Du hattest übrigens recht: Ich weiß selbst nicht, was ich will. In den letzten Tagen hatte ich ausreichend Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich wohl schon immer irgendwie auf der Suche war.«
    Ich betrachtete schweigend ihr schmales blasses Gesicht. Der Ausdruck in ihren Augen schwankte zwischen Klarheit

Weitere Kostenlose Bücher