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Meerestosen (German Edition)

Meerestosen (German Edition)

Titel: Meerestosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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geben, er bekam das wirklich gut hin. Ruby trauerte auf eine sehr berührende Weise. Sie haderte nicht, war nie verzweifelt, sondern erzählte voller Liebe von Ashton. Sie weinte, aber sie lachte auch oder saß stundenlang nur still da – und immer lag eine tiefe Zärt lichkeit in ihrem Blick.
    Um sie abzulenken, berichtete ich von meinen Erlebnissen im Atlantik, bei den Ilhas Desertas und von Gordy. Nur über Nee rons Prophezeiung schwieg ich mich aus. Rubys Seele war belastet genug, ich wollte nicht, dass sie sich deswegen auch noch Sorgen machen musste.
    Sie lauschte aufmerksam und interessiert und löcherte mich mit ihren Fragen, eines allerdings wollte ihr partout nicht in den Kopf.
    »Ich verstehe nicht, warum ihr euch getrennt habt«, sagte sie wieder und immer wieder.
    »Delfinnixe müssen ihrer Bestimmung folgen«, erklärte ich ihr ein ums andere Mal. »Sie können sich nicht dagegen wehren.«
    »Aber ihr liebt euch doch!«
    »Ja, ich liebe Gordy. Mehr als alles auf der Welt. Doch leider hat das Meer eine andere für ihn vorgesehen«, gab ich ihr auch diesmal zur Antwort.
    »Bist du dir da ganz sicher?«
    »Nein.«
    »Siehst du«, sagte Ruby, schlang mir ihren Arm um die Schultern und drückte mich. »Er kommt bestimmt zurück.«
    »Wenn ich darauf hoffe, werde ich verrückt«, erwiderte ich kopfschüttelnd.
    »Wenn du ihn verlierst, nicht?«
    Ich schwieg und blinzelte energisch die Tränen weg, die mir in die Augen gestiegen waren. Ruby hatte tausendmal mehr Grund zu heulen als ich. Es fehlte noch, dass ich ausgerechnet in ihrer Gegenwart zum Trauerkloß wurde.
    »Also, ich würde verrückt werden«, fuhr sie nach einer Weile fort. »Ashton ist tot. Ich weiß genau, ich sehe ihn nie wieder. Das ist schlimm, schlimm, schlimm … Ich kann dir gar nicht beschrei ben, wie schlimm, aber zumindest ist es ein Abschluss. Mit dieser Ungewissheit, die dich plagt, könnte ich nicht leben.«
    »Tja«, witzelte ich. »Zum Glück bin ich nicht du.«
    »Haha«, sagte Ruby und drückte mich noch fester. »Zu dumm, dass Cyril dein Halbbruder ist«, meinte sie dann.
    Anstatt mich zu empören über das, was sie damit andeutete, aber nicht auszusprechen wagte, schüttelte ich nur wieder den Kopf. »Ist es nicht, Ruby«, entgegnete ich. »Eigentlich finde ich es inzwischen ganz okay.«
    Um ehrlich zu sein: Es war sogar ein ziemlich gutes Gefühl, einen Bruder zu haben, noch dazu einen wie Cyril.
    So sehr ich mich auch zunächst von ihm hintergangen gefühlt hatte, inzwischen musste ich mir eingestehen, dass mit jeder Mi nute, die ich mit ihm und Ruby verbrachte, alle dummen Gefüh le dahinschmolzen. Ich verstand Cyril, ich spürte sein Mitgefühl und erkannte, wie durch und durch ehrlich er im Grunde war. Darüber hinaus konnte ich ihn nur dafür bewundern, wie vorbe haltlos er auf jeden Einzelnen zuging.
    Cyril lebte das, was er war. Er lebte sein Leben. Und er liebte. – Was man von seinem Vater wahrlich nicht behaupten konnte. Rücksichtslos hatte er meine Mutter benutzt, um ein Kind mit ihr zu zeugen, und nun durfte ich mich mit meinem Gewissen he rumschlagen, weil ich mehr wusste als sie. Ich versuchte, nicht da rüber nachzudenken, doch mit jeder Sekunde, die ich Cyril mehr und mehr ins Herz schloss, wuchs mein Hass auf Javen Spinx.

    Als ich Montag, den 4. Juni, morgens zum Frühstück hinun terging, kam Tante Grace mir bereits auf der Treppe entgegen. Passend zum sommerlichen Wetter trug sie ein kurzärmeliges, leuchtend blaues Hemdblusenkleid, ein in sämtlichen Farben des Meeres schimmerndes Chiffontuch im Haar und dazu passende silberne Ohrgehänge, in die große runde Türkise eingefasst waren.
    »So geht das nicht weiter«, sagte sie. »Ich kann es nicht länger dulden, dass Cyril unentwegt in meinem Garten herumhängt.«
    Erstaunt sah ich sie an. »Oh, ich wusste nicht, dass er das tut!«
    »Hat der junge Mann denn kein Zuhause?« Sie geriet ins Sto cken. »Ich meine …«
    »Tante Grace«, unterbrach ich sie und holte einmal tief Luft. »Cyril ist … Er ist mein Halbbruder.«
    Schweigen.
    »Ich wollte es dir längst sagen.«
    »Unsinn«, erwiderte sie und machte eine unwillige Geste. »Wenn du es wirklich gewollt hättest, hättest du es auch getan.«
    Es klang halbherzig, und mit einem Mal kam mir der erleich terte Ausdruck in ihrem Gesicht wieder in den Sinn, als ich ihr vor einigen Tagen eröffnete, dass Cyril Javen Spinx’ Sohn sei. Na türlich hatte sie da bereits eins und eins zusammengezählt und aus

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