Meerhexe
wenigstens Butter aufs Knäckebrot streichen?«
»Halbfettbutter.«
Also, ich finde es ja schön, dass meine Eltern sich wieder lieben. Aber sehr romantisch ist diese Liebe nicht. Knäcke und Halbfettbutter! Wenn ich dagegen an Ulrich denke... Er ist es wert, dass ich auf Pommes verzichte, aber ich rede doch nicht mit ihm über Pommes!
Beim Essen erinnere ich meinen Vater: »Du wolltest dich nach einem Gesangslehrer für mich umsehen!«
»Wir hatten jeden Tag Aufnahmeprüfungen«, gibt er zurück.
»Aber du hättest doch wenigstens einen fragen können!«
Mein Vater kaut seinen Salat sehr gründlich, wie meine Mutter ihm geraten hat, so sättigt er mehr. »Mhm. Aber wenn ich einen frage, kann ich nicht mehr zurück. Verstehst du? Wir sind Kollegen!«
»Nein, versteh ich nicht.«
Meine Mutter mischt sich ein. »Madeleine, es gibt gute und weniger gute Lehrer, so ist das überall. Wenn du einen schlechten erwischt hast und wieder wegwillst, ist das für Papa unangenehm, weil er einem Kollegen sagen muss: Hören Sie, Sie sind mir nicht gut genug für meine Tochter.«
»Ach so. Und wie machst du es dann, Papa? Willst du ihn vorher prüfen?«
»Oder sie. Wir haben auch Lehrerinnen. Ich werde mich umhören, wer von ihnen die besten Studenten hat, das ist immer ein gutes Zeichen. Aber das geht nicht von heute auf morgen.«
»Und wie lange, denkst du?«
Mein Vater legt mir die Hand auf den Arm. »Ich mache dir einen Vorschlag, Madeleine. Demnächst beginnen unsere Vortragsabende. Du besuchst die im Fach Gesang und hörst dir die Leute an. Wenn du sechzehn bist, kannst du die Aufnahmeprüfung machen. Und falls...«
Ich ziehe mit einem Ruck meinen Arm weg. »Wenn ich sechzehn bin?«
Mein Vater tauscht einen Blick mit meiner Mutter und schüttelt dann nachsichtig den Kopf. »Du musst nicht bis sechzehn warten, wenn es dir so wichtig ist. Wenn du vorher Privatstunden nehmen willst … die kriegst du. Bist du jetzt zufrieden, Lenchen?«
»Erst wenn ich weiß, wann es losgeht.«
Da kippt mein Vater den Kopf in die aufgestützte Hand. »Ich hab’s immer gewusst«, murmelt er. »Irgendwann bricht die Mutter durch. Mistiger, elendiger Ehrgeiz...«
Woraufhin meine Mutter leise kichert.
Nichts gegen ihren Humor. Aber ich bin kribbelig vor Ungeduld wegen der Gesangsstunden. Jetzt muss ich schon auf zwei Sachen warten. Die zweite Sache ist meine schlanke Figur. Wenigstens sind meine Aussichten in beiden Fällen gut, um nicht zu sagen ziemlich sicher.
Die erste Probe fürs Musical. Ulrich hat alle Leute eingeladen, die teilnehmen werden. Der Musiksaal ist voll. Nur Ulrich selbst fehlt noch. Der ganze Unterstufenchor wuselt herum. Außerdem entdecke ich einen Jungen mit einem Geigenkasten und einen zweiten mit einem Klarinettenköfferchen. Sie stehen bei Lennart und Maximilian. Zu viert haben sie vielleicht nicht so stark das Bedürfnis davonzulaufen.
Lennart und Maximilian könnte ich noch immer Schlaksi und Pummel nennen, mit Berechtigung, aber ich tue es nicht. Ich bin froh, wenn mich keiner mit Berechtigung Mops nennt.
Außerdem hab ich Respekt vor ihren tollen Stimmen.
Bei mir sind Franziska, Denise und Melinda. Sie gehören zum Chor.
Denise sagt: »Ich hätte doch vorsingen sollen...« Ihre Reue kommt zu spät, die Rollen sind fest vergeben. Regina ist und bleibt die kleine Seejungfrau und Anna die Großmutter. Mit Prinz Maximilian und Meerkönig Lennart könnte Denise sowieso nicht tauschen und die Meerhexe möchte sie wahrscheinlich gar nicht sein. Von den Hauptpersonen bin ich übrigens die Jüngste, wenn man die fünf schönen Schwestern nicht mitrechnet.
Ein langes, dünnes Mädchen aus der Zehnten namens Stefanie zeigt soeben Anna das Märchenbuch, das ich von meiner Oma schon kenne. Spielt sie auch mit? Und als was?
Da kommt Ulrich. An seiner Seite ist noch ein Mädchen: Nadine aus meiner Parallelklasse. Ulrich hält sich den Kopf bei unserem Anblick. Aber das ist nur Show. Gleich lacht er wieder und sagt, wir sollen uns hinsetzen. Als es ruhig geworden ist und alle ihn erwartungsvoll anschauen, beginnt er mit seiner Rede. »Hallo, Leute«, sagt er. »Irgendwie habe ich mir nicht klargemacht, dass ihr so viele seid...«
Ich hänge an Ulrichs Gesicht wie alle anderen auch und mein Herzklopfen verebbt allmählich. Er ist noch genauso jung wie vor den Ferien. Diese lächerlichen zwölf Jährchen, die uns trennen! Wenn er mal dreißig ist, bin ich schlank, erwachsen und eine ausgebildete
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