Meg Finn und die Liste der vier Wünsche
»Hä?«
»’nen Zehner. Du weißt schon, zehn Pfund. Das verstehst du doch wohl, Dickerchen, oder?«
Franco runzelte die Stirn. Würde diese Göre es denn nie lernen? »Pass auf, was du sagst, Fräulein. Zwing mich nicht, aus diesem Sessel aufzustehen.«
Ich lachte spöttisch. »Aus dem Sessel aufstehen? Du? Das soll wohl ein Witz sein.«
Franco versuchte ein ungläubiges Lachen, heraus kam allerdings nur ein ersticktes Kieksen. Gleich hatte ich ihn so weit. »Ich warne dich, Fräulein!«
»Du warnst mich? Die Warnung kannst du dir für eine Schnecke aufheben, das ist nämlich das Einzige, was du erwischst.«
Ruckartig schleuderte Franco seinen Bauch vor, verlor das Gleichgewicht und stürzte aus dem Sessel. Ich machte keinen Versuch zu fliehen. Warum auch? Genau darum ging es ja. Mein Stiefvater hieb mir gegen die Schulter, so richtig gemein mit vorgestrecktem Mittelfingerknöchel. Ich schrie auf vor Schmerz, und das war nicht gespielt.
»Ich war früher mal ein guter Fußballspieler«, erklärte Franco, noch immer beleidigt über die Bemerkung mit der Schnecke. »Da habe ich auch meinen Spitznamen her. Francooo, riefen sie immer, wenn ich ein Tor geschossen hatte. Und das war ganz schön oft, das kannst du mir glauben.«
Ich wischte mir die Augen am abgewetzten Ärmel meiner Schuljacke ab. Red nur weiter, Fettsack. Es fehlte nicht mehr viel für meinen Plan. Es gab nur noch eine Sache, die ich filmen musste.
Jedes Wochenende ließ Franco sich bis zur Bewusstlosigkeit voll laufen. Er fand, das hatte er verdient, nachdem er sich bereits die ganze Woche die Kante gegeben hatte. Sonntags gegen Mitternacht hätte ihn nicht mal eine explodierende Bombe unter seinem Sessel aufgeweckt.
Ich wartete auf dem Treppenabsatz, bis das Schnarchen zu mir heraufdröhnte, dann schlich ich mich auf meine bewährte Weise hinunter, die Füße zwischen die Geländerstäbe geschoben. Die Vorsicht war überflüssig. Franco war restlos weggetreten. Er hatte seine Saufunterwäsche an und schnarchte, dass die Wände wackelten. Ich nahm einen glühenden Zigarettenstummel weg, der ihm noch zwischen den Fingern hing, damit er ihn nicht am Ende weckte und meine Pläne störte.
Der Fernseher lief noch. Einer dieser Ballerstreifen, wie Franco sie liebte. Auch der hatte ihn nicht wach halten können.
Nun kam der schwierigste Teil. Wenn ich jetzt den Fernseher ausmachte, würde Franco garantiert aufwachen. Wahrscheinlich konnte er ohne das tröstliche Geplärr der blöden Kiste überhaupt nicht schlafen. Aber dafür hatte ich ja meinen Plan.
Der alte Fernseher stand noch in der Ecke, halb begraben unter Hamburger-Kartons und Zigarettenschachteln. Ich zerrte ihn über den Boden und schloss ihn an den Doppeladapter an. Jetzt brauchte ich nur noch die Antenne umzustöpseln, und fertig war der Lack. Es rauschte einen Moment lang, dann dröhnte es aus den Monolautsprechern des alten Apparats. Franco rührte sich nicht.
Schnell zog ich den Stecker des neuen Geräts und schob es zur Hintertür hinaus. Zum Glück hatte das Ding Rollen. Kein Problem, es in den Schuppen zu verfrachten. Die Kamera stand schon bereit. Jetzt brauchte ich nur noch den Vorschlaghammer.
Ich weiß noch, wie ich auf dem Fenstersims hockte und darauf wartete, dass Franco aufwachte. Ein Kichern stieg kribbelnd in meiner Kehle hoch wie ein eingesperrter Hamster. Hysterie, nehme ich an, und Angst.
Francos Aufwachen war ein langwieriger Prozess. Es konnte Stunden dauern. Anfangs kam er oft nur für ein Kratzen oder einen Ausflug zum Klo zu sich und versank dann wieder in Bewusstlosigkeit. Ich hatte sämtliche Heizkörper abgedreht, um das Ganze diesmal zu beschleunigen.
Um neun Uhr flatterten seine Lider. Die fleischige Hand tastete auf der Sessellehne nach den Zigaretten. Sobald er die Schachtel gefunden hatte, schob er sich eine in den Mundwinkel und zündete sie mit dem Feuerzeug an. Alles mit geschlossenen Augen.
Er fuhr sich angewidert mit der Zunge über die Schneidezähne. Die Überreste vom Bier und Fastfood des vergangenen Abends. Er brauchte einen Drink.
Mit den Handballen zog Franco die Augenlider auseinander. Blutige Blitze durchzuckten das Weiß. Er war schlecht drauf. Das kannte ich schon. Gleich würde er in mörderischem Selbstmitleid versinken und die ganze Welt für seinen selbst verschuldeten Kater verdammen.
Dann hielt er inne. Etwas stimmte nicht. Etwas war anders. Mal überlegen. Er saß in seinem Sessel. Rauchte seine Zigarette. Vor ihm stand
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