Meg Finn und die Liste der vier Wünsche
aufstehen und mich wehren. Ihm meine Faust in den Schwabbelbauch rammen und sehen, wie er nach Luft ringend auf dem Boden lag. Aber ich konnte es nicht. Es war zu viel für mich. In einer erstickenden Woge brach alles über meinem Kopf zusammen. Er war zu stark.
Das Ende der Werbepause war meine Rettung. Abgelenkt von der Erkennungsmelodie einer Sendung, schlurfte Franco zurück zu seinem Thron. Er quetschte sich in den Sessel. Seine Oberschenkel passten kaum zwischen die Armlehnen. Und ich hockte wie eine platt gehauene Spinne auf dem Boden und rührte mich nicht, aus Angst, erneut die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
»Oh, und noch was«, sagte er und tastete seine Hemdtaschen nach Streichhölzern ab. »Ich habe einen offiziellen Adoptionsantrag gestellt. Das bedeutet, dass ich für immer hier bleibe und du einen neuen Daddy kriegst. Ist das nicht toll?«
Ich gab ihm keine Antwort. Es war ohnehin keine richtige Frage. In meinem Kopf rangen Schmerz und Hass miteinander.
Der Hass siegte. Man kann nicht einfach die Mam von jemandem schlagen und meinen, dass nichts passiert. Dafür würde Franco bezahlen. Ich wusste noch nicht, wie, aber der erste Funke einer Idee flackerte bereits in meinem Kopf. Er war also ganz vernarrt in seinen Fernseher? Nun, dann musste ich ihn da treffen, wo es wehtat. Und zwar richtig.
Kapitel 12
Doppelte Rache
F ranco war ein Mann mit wenigen Interessen, und da ich mit ihm unter einem Dach wohnte, kannte ich sie alle. Er konnte sie an den pummeligen Fingern einer Hand abzählen. Das Fernsehen war natürlich die große Liebe seines Lebens. Der Kasten dudelte jeden Tag mindestens acht Stunden für ihn und überlagerte die Außenwelt mit seiner bunten Ersatzrealität. Essen stand ebenfalls ganz weit oben. Wohl oder übel Fertigfutter, da er sonst weniger Zeit zum Fernsehen hatte. So standen hauptsächlich Chips, Schokolade und Lieferpizza auf der Speisekarte. Trinken war auch nicht schlecht. Ein halb beduselter Kopf versinkt umso leichter im Sumpf der Satellitensender.
Doch das war der private Franco. Der, den die Öffentlichkeit nie zu Gesicht bekam. Außerhalb der verzogenen Tür seines geerbten Hauses war Franco Kelly eine Stütze der Gemeinde. Vielleicht eine etwas wackelige Stütze, aber immerhin. Franco sah sich selbst in der Rolle des tragischen Helden. Verliert die Liebe seines Lebens, bleibt aber aus reinem Edelmut da, um das verwöhnte Blag aufzuziehen.
Zur Pflege dieser Legende warf Franco sich jeden Montagabend in Anzug und Krawatte und ging hinüber zur Crescent Bar, um den Vorsitz beim Treffen seines geliebten Newforder Vereins der Taubenfreunde führte. Von Klo und Kühlschrank mal abgesehen, war der NVT vermutlich das Einzige, was Franco aus seinem Sessel locken konnte. Natürlich hielt er selbst keine Tauben. Das hätte ja Arbeit bedeutet. Aber man musste sie schließlich nicht besitzen, um sie zu mögen, sagte er sich. Und hatte er sich das Vereinsvideo nicht angeguckt, bis das Band gerissen war?
Darüber grübelte ich also nach: Das Fernsehen und der NVT. Wie konnte ich beides in einem angemessenen Racheakt verbinden? Die Antwort ergab sich Stück für Stück, wie ein kompliziertes Puzzle. Dafür war einiges vorzubereiten. Als Erstes brauchte ich eine Videokamera.
Ich borgte mir die Kamera von Belch und stellte sie draußen vor dem hinteren Wohnzimmerfenster auf. Es machte mich ein wenig nervös, mir von Belch was zu borgen. Weiß der Himmel, wo er die Videokamera herhatte – außerdem würde er etwas dafür haben wollen. Wahrscheinlich Hilfe bei einer seiner zweifelhaften Unternehmungen. Ich schüttelte die Sorge ab. Was es auch sein mochte, die Sache war es wert.
Ich filmte meinen Stiefvater bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Wie er im Sessel hing und sich kratzte oder Bier über seine Erdnüsse kippte. Wie er ein ganzes Wochenende in Hemd und Unterhose rumlief. Wie er vor der Flimmerkiste hockte, natürlich nur ausschnittsweise. Zwei volle Tage hätte man keinem Zuschauer zumuten können. Ich filmte ihn, wie er mit dem Fernseher debattierte, wie er im Schlaf sabberte und überhaupt bei jeder denkbaren Peinlichkeit. Aber das war noch nicht genug. Nicht für das, was er getan hatte.
Stufe zwei. Provokation. An jenem Freitagnachmittag setzte ich die Kamera in Gang und lief nach drinnen ins Wohnzimmer.
»He, Fettwanst«, sagte ich. »Rück mal ’nen Zehner raus.« Franco zuckte aus dem Halbschlaf hoch. An seinem Kinn hing ein halb getrockneter Speichelfaden.
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