Mehr als nur ein halbes Leben

Titel: Mehr als nur ein halbes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova

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genug erinnern, um in diesem Augenblick eine Ähnlichkeit zu erkennen. Ich frage mich, was genau meine Mutter sieht. Als ich einen Blick aus dem Fenster werfe, sehe ich Charlie in der Ferne spielen, einen Berg aus Schnee bauen. Ich kann mich an Nates große Abenteuerlust erinnern, seine Entschlossenheit, seine Fantasie. Charlie hat all diese Eigenschaften. Und ich auch.
    »Was ist mit Lucy? Siehst du irgendetwas von Nate in ihr?«
    Lucy spielt noch immer in der Nähe des Hauses. Ihre Handschuhe liegen auf dem Boden, und sie streut Glitzer auf mehrere Nester, die sie aus Zweigen, Steinen und Kiefernzapfen gebastelt hat, vermutlich als Zuhause für die Waldfeen, an die sie glaubt.
    »Nein. Diese entzückende kleine Maus ist einzigartig.«
    Wir lachen beide. Ich mag das Geräusch, das meine Mutter macht, wenn sie lacht. Ich wünschte, sie hätte diese Pillen schon entdeckt, als ich noch ein Kind war, und ich würde dieses Geräusch nicht erst mit siebenunddreißig Jahren und zu dem Preis eines Schädel-Hirn-Traumas kennenlernen. Ich schaue auf ihre Pillendose. Auf einmal habe ich das Gefühl, dass sie weitaus mehr Pillen genommen hat, als ihr gegen die Depression verschrieben sein sollten. Ich frage mich, wogegen sie sonst noch Medikamente nehmen könnte.

SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL
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    Es ist Donnerstag, und wir verbringen alle eine wunderbare Ferienwoche. Die ersten paar Tage bin ich mit meinem Gehstock wie auf rohen Eiern gegangen, nachdem ich gemerkt hatte, dass wir die Wii in Welmont vergessen haben. Ich ging davon aus, dass dieses Versäumnis eine verheerende Katastrophe mit Tränen und Wutanfällen nach sich ziehen und vielleicht sogar von Bob einen FedEx-Versand über Nacht erfordern würde, aber die Kinder haben nicht einmal danach gefragt. Charlie und Lucy waren entweder draußen oder zufrieden damit, mit meiner Mutter und mir drinnen »altmodische« Spiele zu spielen, Spiele, die keine linke Seite erfordern, wie zum Beispiel Ich packe meinen Koffer , Ich sehe was, was du nicht siehst und Stein, Papier und Schere (sogar die Kinder schlagen mich dabei jedes Mal). Meine Mutter hat außerdem eine Zwölferpackung Knetmasse gekauft, und wir hatten alle viel Spaß dabei, sie zu rollen und zu formen oder so zu tun als ob (und Linus hat unerlaubterweise eine kleine Kostprobe davon genommen).
    Nicht vergessen habe ich den Becher mit Murmeln, aber auch den haben wir bislang nicht gebraucht. Bei der ganzen Zeit, die sie im Freien verbringen, sind die Kinder am Ende des Tages erschöpft, und ich erlaube ihnen vor dem Schlafengehen gern eine Stunde Nick jr. ohne Gegenleistung. Und Charlies Aufmerksamkeit schien die ganze Woche normal zu sein. Es könnte an seinem Concerta liegen, aber meine Mutter und ich glauben, dass er von so viel unstrukturierter Zeit im Freien eindeutig profitiert – davon, dass er nicht durch Wände oder Zäune oder einen Platz in einem Klassenzimmer eingeengt wird, von so viel körperlicher Bewegung und von Tagen, die er nicht damit verbringt, von einer Sache zur nächsten zu hetzen.
    Und ehrlich gesagt glaube ich, dass auch ich davon profitiert habe, frei von Verpflichtungen und Terminen zu sein. Das Einzige, was ich mir diese Woche im Fernsehen angesehen habe, war Ellen . Ich habe weder die CNN-Schlagzeilen gelesen noch irgendwelche Nachrichten gesehen, und ich vermisse es nicht. Natürlich vermisse ich die Arbeit, aber ich vermisse nicht diese nervöse Anspannung, die daher rührt, dass ich zu jeder Sekunde jedes Tages auf den nächsten dringenden Anruf reagieren muss, auf die dreißig unerwarteten E-Mails, die eingehen, während ich in einer Besprechung bin, oder auf irgendeine unvorhergesehene Krise, die zweifellos noch vor 6.00 Uhr auf mich zusteuert. Sicher ist das aufregend, aber das ist es auch, der Hirschfamilie zuzusehen, die stehen bleibt und uns ansieht, während sie den Garten durchquert.
    Meine Mutter hat Charlie und Lucy heute Morgen für ihren Unterricht zum Berg gebracht und Linus für die Fahrt mitgenommen. Nach viel aufrichtigem Betteln habe ich Charlies Wunsch erfüllt und ihm erlaubt, von den Skiern zum Snowboard zu wechseln. Er hatte gestern seinen ersten Kurs und ist absolut begeistert. Snowboard zu fahren ist das Coolste, und ich wurde zur coolsten Mom aller Zeiten erklärt, weil ich ihm erlaubt habe, ein irre cooler Snowboarder zu werden.
    Heute Morgen beim Frühstück hat er durchaus geschickt um die Erlaubnis gekämpft, den Kurs heute ausfallen zu lassen und allein