Mehr als nur ein halbes Leben
hinterher.
Und ein paar der Kinder interessiert das alles gar nicht. Ein Mädchen schlägt Rad. Ein anderes sitzt nur auf der Erde und rupft mit den Händen Grashalme aus. Charlie dreht sich. Er dreht sich im Kreis, bis er fällt. Dann steht er wieder auf, taumelt, fällt wieder, steht auf und dreht sich wieder.
»Charlie, schnapp dir den Ball!«, ermuntert Bob ihn vom Spielfeldrand aus.
Er dreht sich.
Die anderen Eltern feuern ihre Kinder ebenfalls an.
»Los, Julia, los!«
»Komm schon, Cameron!«
»Tritt den Ball!«
Für diesen Wahnsinn habe ich eine wichtige Besprechung versäumt. Ich gehe zurück zu Bob.
»Hat’s geklappt?«
»Nein.«
Gerade eben hat es zu schneien begonnen, und die meisten Kinder haben alle Gedanken an den Ball oder daran, warum sie hier sind, aufgegeben, um stattdessen mit der Zunge Schneeflocken aufzufangen. Ich kann nicht aufhören, mehrmals pro Minute auf die Uhr zu sehen. Dieses Spiel – oder wie immer man das nennen sollte – scheint eine Ewigkeit zu dauern.
»Wie lange geht das denn noch?«, frage ich Bob.
»Ich glaube, sie spielen fünfundvierzig Minuten. Kommst du danach mit nach Hause?«
»Ich muss sehen, was ich versäumt habe.«
»Kannst du das nicht von zu Hause aus machen?«
»Ich sollte gar nicht hier sein.«
»Sehe ich dich zur Schlafenszeit?«
»Wenn ich Glück habe.«
Bob und ich kommen oft nicht rechtzeitig nach Hause, um mit den Kindern zu Abend zu essen. Ihre kleinen Mägen fangen gegen 17.00 Uhr an zu knurren, und dann macht Abby ihnen Makkaroni mit Käse oder Chicken Nuggets. Aber wir versuchen beide, gegen 18.30 Uhr zu Hause zu sein, um mit ihnen zusammen den Nachtisch zu essen. Die Kinder nehmen Eiscreme oder Kekse, während es für Bob und mich im Allgemeinen Käse mit Crackern und Wein gibt, sodass unser Dessert eher ein Appetitanreger für das Abendessen ist, das wir zu uns nehmen, nachdem die Kinder um 19.30 Uhr ins Bett gegangen sind.
Der Schiedsrichter, ein Junge von der Highschool, pfeift schließlich, und das Spiel ist aus. Als Charlie vom Spielfeld geht, hat er noch immer nicht bemerkt, dass wir hier sind. Er ist so süß, dass ich es kaum aushalte. Sein gewellter brauner Haarschopf scheint immer ein bisschen zu lang zu sein, egal, wie oft er nachgeschnitten wird. Er hat Bobs blaue Augen und die längsten schwarzen Wimpern, die ich je bei einem Jungen gesehen habe. Bei diesen Augen werden Mädchen eines Tages ausflippen. Auf einmal ist er so alt und doch so jung zugleich. Alt genug, um Hausaufgaben und zwei Erwachsenenzähne zu haben und in einer Fußballmannschaft zu sein. Jung genug, um jeden Tag draußen spielen zu wollen, noch immer Milchzähne und Zahnlücken zu haben und sich lieber im Kreis zu drehen und Schneeflocken zu fangen, als unbedingt das Spiel gewinnen zu müssen.
Jetzt sieht er uns, und seine Miene hellt sich auf. Er strahlt wie ein Honigkuchenpferd und läuft uns genau zwischen die Beine. Ich stecke mein Telefon ein, um ihn mit beiden Armen an mich drücken zu können. Dafür bin ich hierhergekommen.
»Tolles Spiel, Kumpel!«, lobt Bob.
»Haben wir gewonnen?«, erkundigt sich Charlie.
Sie haben zehn zu drei verloren.
»Ich glaube nicht. Hattest du Spaß?«, will ich wissen.
»Jaa!«
»Wie wär’s heute Abend mit Pizza?«, schlägt Bob vor.
»Jaa!«
Wir gehen zum Parkplatz.
»Mom, kommst du mit Pizza holen?«
»Nein, Schatz, ich muss zurück zur Arbeit.«
»Okay, Kumpel, wer ist als Erster beim Auto? Auf die Plätze – fertig – los!«, brüllt Bob.
Sie schießen über das Baseball-Innenfeld, Staubwolken hinter sich aufwirbelnd. Bob lässt Charlie gewinnen, trägt dabei dick auf. Ich höre ihn rufen: »Ich glaub’s nicht! Ich hatte dich fast geschlagen! Du rennst ja wie ein geölter Blitz!«
Ich lächele. In meinem Wagen sehe ich wieder nach meinem Telefon. Ich habe Empfang und sieben neue Nachrichten. Ich seufze, hole einmal tief Luft und drücke auf Abhören. Als ich mich langsam über den Parkplatz schlängele, stehe ich schließlich genau hinter Bob und Charlie. Ich hupe und winke und sehe ihnen zu, wie sie nach links in Richtung Pizza und nach Hause abbiegen. Dann biege ich nach rechts ab und fahre in die entgegengesetzte Richtung.
VIERTES KAPITEL
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Ich schlendere durch den Public Garden, vorbei an dem Standbild von George Washington auf seinem Pferd, vorbei an den Schwanenbooten auf dem Teich unter den riesigen Weiden, vorbei an Lack, Mack und all den anderen kleinen Bronzeenten.
Ich
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