Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mehr als nur ein halbes Leben

Mehr als nur ein halbes Leben

Titel: Mehr als nur ein halbes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
Vom Netzwerk:
die seine Aufmerksamkeit in Versuchung führen, sieht er nur noch die eine Frage und bringt sie nicht mit irgendwelchen anderen Informationen durcheinander. Nach und nach reiche ich ihm alle zehn »Fragekarten«, und er beantwortet alle zehn richtig. Nach ungefähr einer Viertelstunde sind wir fertig. Ein Rekord in der Pilgrim Lane 22.
    »Das war’s, Charlie, keine Karten mehr. Du hast sie alle gelöst.«
    »Ich bin fertig?«
    »Ja. Spitzenleistung.«
    Übergroßer Stolz zeigt sich in jedem Winkel seines Gesichts. Mir fällt auf, wie ähnlich er mir sieht.
    »Kann ich jetzt Mario spielen?«
    »Das kannst du. Aber weißt du was? Das war so spitze, ich glaube, du hast dir die drei Murmeln zurückverdient.«
    »Wirklich?!«
    »Aber ja. Du kannst eine ganze Stunde spielen, wenn du willst.«
    »Jippie! Danke, Mom!«
    Er schießt aus der Küche und kommt dann noch einmal zurück.
    »Hey, Mom? Kannst du Ms. Gavin das mit den Fragekarten und dem Stehen sagen? Ich will meine ganzen Aufgaben so machen.«
    »Na klar, Schatz.«
    »Danke!«
    Er ist so schnell wieder verschwunden, wie er gekommen ist, und ich höre seine Füße die Treppe hinunterpoltern wie einen Trommelwirbel.
    Ich sehe auf Ms. Gavins Hausaufgabenblatt, das in Streifen zerschnitten ist, und hoffe, dass sie es versteht. Wir können es immer noch wieder zusammenkleben, wenn sie darauf besteht. Unsere Gehirne sind anders verdrahtet, und wir müssen uns überlegen, wie wir sie zum Arbeiten bringen.
    Ich höre die gewohnten piepsenden Geräusche von Super Mario und stelle mir den ungewohnt selbstzufriedenen Ausdruck auf Charlies Gesicht vor. Ich bleibe am Küchentisch sitzen und warte darauf, dass meine Mutter und die beiden anderen Kinder nach Hause kommen. Auch ich bin zufrieden. Wie eine Super-Mom.

ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
----

    Es ist der Abend unseres Hochzeitstags, und Bob und ich wollen ins Pisces gehen, unser Lieblingsrestaurant in Welmont. Ich bin schon so aufgeregt. Es wird kein Essen auf Plastiktabletts oder aus Styroporbehältern geben; es werden keine Makkaroni mit Käse oder Chicken Nuggets auf der Speisekarte stehen; da werden keine Kinder sein, die weinen oder winseln, oder Eltern, die sie anflehen, ihre Makkaroni mit Käse oder Chicken Nuggets zu essen; und auf jedem Tisch werden sich Salz und eine Weinkarte befinden. Es ist lange her, seit ich eine zivilisierte Mahlzeit in zivilisierter Gesellschaft genossen habe. Mir läuft schon jetzt das Wasser im Mund zusammen.
    »Heute Abend gehen offenbar alle aus«, sagt Bob, während wir – verzweifelt auf der Suche nach einem Parkplatz – im Schritttempo die Main Street hinunterkriechen, Fußgänger beobachten, die aussehen, als könnten sie wegfahren, und allen Fahrern hinter uns auf die Nerven gehen.
    Wir fahren an einem Behindertenparkplatz vorbei, der frei ist und wirklich sehr verlockend aussieht. Aber wir haben keinen Behindertenparkausweis, und ich will auch keinen. Aus demselben Grund, aus dem wir Charlies Concerta-Pillen Vitamine nennen, will ich keine Autokennzeichen oder Aufkleber oder sonst irgendwelche Pappschilder, die mit diesem Bild eines Strichmännchens in einem Rollstuhl versehen sind. Ich bin kein Strichmännchen in einem Rollstuhl. Bob unterstützt diese Philosophie und begrüßt mein gesundes Selbstbild, aber in diesem Augenblick wünschte ich doch, wir hätten diesen Platz. Bob wird noch langsamer, als wir uns dem Pisces nähern, und hält dann in zweiter Reihe genau davor.
    »Was hältst du davon, wenn ich dich hier aussteigen lasse und allein weitersuche?«, fragt Bob.
    »Na klar, ich springe schnell hinaus und laufe schon mal vor«, antworte ich, ohne mich zu rühren.
    »Ach ja«, sagt Bob, als ihm wieder einfällt, dass ich nirgendwo mehr schnell hinausspringe und schon mal vorlaufe. »Sie sollten hier wirklich einen Pagen haben, der die Wagen der Gäste parkt.«
    Schließlich finden wir einen Parkplatz vor dem Käsegeschäft, vier Blocks entfernt. Vier lange Blocks.
    »Wie spät ist es?«, frage ich.
    »Viertel vor sieben.«
    Wir haben für 19.00 Uhr reserviert. Eine Viertelstunde, um vier Blocks weit zu laufen. Es wird knapp werden. Ich sehe auf meine Füße. Ich wollte hohe Absätze tragen, aber sowohl Bob als auch meine Mutter haben darauf bestanden, dass ich meine Merrell-Slipper anziehe. Sie sehen lächerlich aus zu meinem Kleid, aber zum Glück habe ich mich nicht durchgesetzt. Auf acht Zentimeter hohen Absätzen würde ich es niemals vier Blocks weit

Weitere Kostenlose Bücher