Mehr als nur Traeume
das Zimmer nach.
Dort blieb sie erstaunt stehen. Sie hatte einen Raum betreten, den man nur als prächtig bezeichnen konnte. Er war sehr groß, hatte eine hohe Decke, und dicke Wände waren auch hier mit dieser herrlichen goldfarbenen Eiche getäfelt. Der Gips darüber war mit bunten Vögeln, Schmetterlingen und Tieren bemalt. Die Möbel, die Fensterbänke und das gewaltige Pfostenbett waren mit Polstern und Behängen aus glänzender Seide versehen, alle mit Gold- und Silberfäden durchwirkt und mit bunten Stickereien geschmückt. Jeder Gegenstand in diesem Zimmer - ob Becher, Kannen, Spiegel oder Kämme - schienen kostbare Kunstgegenstände zu sein, aus Gold oder Silber gefertigt und mit Edelsteinen besetzt. Das ganze Zimmer glich einer farbensprühenden Schatzkammer.
»Du meine Güte«, murmelte Dougless ehrfürchtig.
»Bringe sie zu mir«, befahl eine weibliche Stimme.
Dougless löste nun den Blick von den Wänden und Spiegeln und sah zum Bett hin. Hinter den meisterhaft gedrechselten und beschnitzten Pfosten und scharlachroten Behängen, auf denen aus Goldfäden gewirkte Blumen prangten, lag eine streng aussehende Frau in einem weißen Nachthemd, das an den Manschetten und am Rüschenkragen mit schwarzen Stickereien versehen war. Ihre Augenpartie deutete eine Ähnlichkeit mit Nicholas an.
»Kommt hierher«, befahl sie, und Dougless trat näher an das Bett heran.
Obwohl die Frau mit autoritärer Stimme sprach, klang sie matt und halb erstickt. Verschnupft vielmehr. Die Frau hatte eine böse Erkältung.
Erst als Dougless das Fußende des Bettes erreichte, bemerkte sie, daß der linke Arm der Frau ausgestreckt auf einem Kissen lag und ein Mann in einer faltenreichen Robe aus schwarzem Samt sich darüber beugte und ...
»Sind das Blutegel?« keuchte Dougless entsetzt. Schleimige schwarze Würmer schienen sich am Arm der Frau festgesaugt zu haben.
Dougless sah nicht, wie Lady Margaret mit ihrem Sohn einen Blick wechselte.
»Man hat mir berichtet, daß Ihr eine Hexe seid, die aus ihren Fingern Feuer versprüht.
Dougless konnte den Blick nicht von den Blutegeln abwenden. »Tut das nicht weh?«
»Ja«, tat die Frau diese Frage im ungeduldigen Ton ab. »Ich möchte Euren Feuerzauber sehen.«
Der Abscheu, den Dougless vor diesen widerlichen Saugern auf dem Arm der Frau empfand, war stärker als ihre Angst vor einer Hexenverfolgung. Sie ging am Bett entlang, schob eine hübsche silberne, mit Smaragden verzierte Kassette auf einem Tisch beiseite und stellte ihre Segeltuchtasche darauf. »Sie sollten nicht zulassen, was dieser Mann mit Ihnen tut. Sie scheinen mir eine schlimme Erkältung zu haben. Kopfschmerzen? Niesen? Mattigkeitsgefühl?«
Die Frau sah sie mit großen Augen an und nickte.
»Habe ich mir doch gleich gedacht.« Dougless kramte in ihrer Reisetasche. »Wenn Sie diesem Mann sagen, daß er diese scheußlichen Würmer wegnehmen soll, werde ich Ihren Schnupfen kurieren. Ah, hier sind sie ja. Tabletten gegen Grippe.« Sie hielt die Packung in die Höhe.
»Mutter«, sagte Nicholas, ans Bett tretend, »du kannst nicht...«
»Weg vom Bett, Nicholas«, befahl Lady Margaret. »Und Ihr auch«, sagte sie zu dem Arzt.
Der Mann zog die Würmer von Lady Margarets Arm ab und ließ sie in eine kleine, mit Leder überzogene Schachtel fallen.
»Sie brauchen dafür ein Glas Wasser.«
»Wein!« befahl Lady Margaret, und Nicholas händigte ihr einen hohen Silberbecher aus, der mit ungeschliffenen Edelsteinen verziert war.
Dougless wurde sich nun der unnatürlichen Stille im Zimmer bewußt und begriff auf einmal, wie tapfer diese Lady Margaret sein mußte. Oder wie dumm, konnte sie nicht umhin zu denken, da sie Medizin von einer wildfremden Person annahm. Dougless gab nun Lady Margaret eine Medikamentenkapsel. »Schlucken Sie das, und es wird in etwa zwanzig Minuten wirken.«
»Mutter«, begann Nicholas wieder; aber Lady Margaret schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab und schluckte die Kapsel.
»Wenn ihr ein Leid geschieht, werdet Ihr mir das büßen«, zischelte Nicholas Dougless ins Ohr, und Dougless erschauerte. Wenn der elizabethanischen Körper nun nicht auf Grippetabletten ansprach? Oder wenn Lady Margaret eine Allergie gegen Antibiotika hatte?
Dougless blieb dort stehen, wo sie sich gerade befand. Das Regenwasser rann ihr noch aus den Kleidern, und sie zitterte vor Kälte. Das Haar klebte ihr am Kopf; doch niemand hatte ihr bisher ein Handtuch angeboten. Niemand im Zimmer schien zu atmen,
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