Mehr als nur Traeume
von Ashburton. Ich scheine von der Straße abgekommen zu sein.«
Die Frauen antworteten nicht; aber eine von ihnen kam nun auf Dougless zu. Es fiel Dougless schwer, ihr Lächeln beizubehalten; denn die Frau verströmte einen üblen Körpergeruch.
»Wissen Sie den Weg nach Ashburton?« wiederholte Dougless.
Die Frau ging stumm um Dougless herum und betrachtete deren Kleider, Haare und Gesicht.
»Ein Haufen Verblödeter«, murmelte Dougless. Wenn diese Leute in so einem Schmutz lebten, konnten sie ja nicht alle Tassen im Schrank haben, überlegte Dougless. Sie trat einen Schritt von der übelriechenden Frau weg und öffnete den Reißverschluß ihrer Segeltuchtasche. Die Frau machte einen Satz zur Seite, als sie das Geräusch des Reißverschlusses hörte. Dougless holte eine Straßenkarte von Südengland und betrachtete sie; aber die half ihr auch nicht weiter, da sie ja nicht wußte, wo sie sich befand, und ihr daher die Karte auch nicht sagen konnte, in welche Richtung sie gehen mußte.
Sie ließ die Karte sinken, als sie am Geruch merkte, daß eine der Frauen ihr nun sehr nahe war und ihren Kopf fast in ihre Hängetasche steckte. »Moment mal«, erboste sich Dougless. Die Frau trug ein Kopftuch, dessen Stoff unter dem Schmutz und dem Fett, das daran klebte, nicht mehr zu erkennen war.
Die Frau machte nun ebenfalls einen Satz von ihr weg; aber erst, nachdem sie Dougless Sonnenbrille aus der Segeltuchtasche stibitzt hatte. Sie rannte zu den anderen Frauen zurück, und diese betrachteten nun eingehend Dougless’ Sonnengläser.
»Das geht entschieden zu weit!« Dougless ging energisch auf die Frau zu, wobei ihr Fuß auf etwas ausglitt, was sie nicht näher betrachten wollte. »Kann ich meine Brille wiederhaben?«
Die Frauen blickten sie mit harten Gesichtern an. Eine von ihnen hatte tiefe, trichterförmige Narben auf den Wangen und versteckte nun Dougless’ Sonnenbrille auf dem Rücken.
Dougless stemmte die Hände in die Hüften. »Würden Sie mir bitte mein Eigentum zurückgeben?«
»Pack dich«, sagte eine der Frauen nur, und Dougless bemerkte, daß die Frau ihre drei vordersten Schneidezähne im Oberkiefer verloren hatte und die anderen verfault waren.
In diesem Moment begann sie zu begreifen. Sie betrachtete die Häuser vor sich, sah das an den Außenwänden gestapelte Feuerholz; die Zwiebeln, die vom Dachfirst hingen, den Schmutz, die Karren und die Leute, die offenbar noch nie etwas von einem Zahnarzt gehört hatten.
»Wer ist eure Königin?« fragte sie mit Flüsterstimme.
»Elizabeth«, erwiderte eine der Frauen mit einem eigenartigen Akzent.
»Richtig«, flüsterte Dougless. »Und wer war ihre Mutter?«
»Die Hexe Anne Bullen.«
Die Frauen kamen nun wieder näher; aber Dougless merkte es nicht, weil sie noch von der Wahrheit wie betäubt war. Nicholas hatte zu ihr gesagt, daß er heute morgen im Jahr 1560 von zu Hause weggeritten sei. Sein Pferd hatte einen seltsamen Sattel getragen. Er schien genau gewußt zu haben, wo er war und in welche Richtung er reiten mußte. Er hatte sich nicht so verhalten wie damals, als er zum erstenmal ins zwanzigste Jahrhundert gekommen war. Er hatte sich so benommen, als wäre er hier zu Hause.
»Au!« rief sie, weil eine der Frauen sie bei den Haaren zog.
»Bist du eine Hexe?« fragte eine andere Frau, die dicht vor ihr stand.
Plötzlich hatte Dougless schreckliche Angst. Im zwanzigsten Jahrhundert konnte man sich nur darüber amüsieren, wenn man von einem Mann als Hexe bezeichnet wurde; aber im sechzehnten Jahrhundert wurden Frauen auf dem Scheiterhaufen verbrannt, die man für Hexen hielt.
»Natürlich bin ich keine Hexe«, sagte Dougless, aber als sie sich von der Frau, die ihr auf den Leib gerückt war, zurückziehen wollte, stand eine andere hinter ihr und verlegte ihr den Weg.
Eine dritte zupfte Dougless am Ärmel. »Hexenkleider.«
»Nein, das sind sie nicht. Ich wohne nur ... in einem anderen Dorf. Im nächsten Jahr werdet ihr alle solche Kleider tragen.« Sie kam weder vorwärts noch rückwärts, weil die Frauen sie nun von allen Seiten bedrängten. Dir muß jetzt rasch etwas einfallen, Dougless, ermahnte sie sich, oder du könntest heute abend bereits auf dem Scheiterhaufen rösten. Sie behielt die Frauen im Auge und griff rasch in ihre Tragetasche, um dort nach weiß Gott was zu suchen. Ihre Finger berührten ein Streichholzbriefchen, das sie in irgendeinem Hotel eingesteckt hatte.
Sie holte das Briefchen heraus, brach ein Zündholz ab und
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