Mehr Bier
herumwirbeln. Ein Schlag in den Magen, ein Kick gegen den Kopf, Feuerwerk und weg.
Stechende Schmerzen weckten mich. Ich schlug die Augen auf und sah auf eine zerknickte Coladose. Sie hatten mich im Rinnstein liegen lassen. Der Schädel klopfte wie wild. Meine Zunge schmeckte nach Blut. Irgendwas zerrte an meiner Hose, dann ein Krabbeln und im nächsten Augenblick wieder der fürchterliche Schmerz. Diesmal im Arm. Ich warf mich zur Seite und spürte den nassen Pelz, gleichzeitig quietschte es. Eine Ratte hing an meinem Arm, und ihre nadelkopfgroßen Augen funkelten mich an. Ich riß mich hoch und schlug schreiend auf die Ratte ein. Sie krallte sich nur noch fester ins aufgeplatzte Fleisch. Wahnsinnig vor Schmerz und Ekel schaffte ich es zur nächsten Straßenlaterne und knallte die Ratte samt Arm gegen den Mast. Wäre das Vieh nicht dazwischen gewesen, der Arm hätte einen sauberen Bruch davongetragen. Noch einmal schlug ich gegen den Laternenpfahl. Diesmal ließ sie los, rutschte aufs Pflaster und rannte quietschend in den nächsten Gulli. Wie von Sinnen lehnte ich an der Laterne. Die Ratte hatte Jackett und Hemd aufgerissen, und ein Matsch aus Blut und Haut quoll hervor. Ich brauchte sofort einen Arzt. Hinter mir wurde die Haustür geöffnet, Schritte kamen. »Mein Gott! Was haben Sie denn gemacht?«
»Einen Krankenwagen! Bitte!«
Dann wurde wieder alles schwarz, und ich rutschte weg. Als ich zu mir kam, stützte mich ein Mann im weißen Kittel. Wir waren immer noch bei der Laterne, nur, daß sich inzwischen eine Menge Neugieriger versammelt hatte. Jemand fragte, was denn geschehen sei. Eine Ratte habe ihn angefallen, gab einer Auskunft. Die Leute kicherten.
»Zum Schießen, ‘n Türke, der von ‘ner Ratte gefressen wird!«
Bum, bum, bum. Das war mein Arm. Wie von weit her murmelte es leise. Auf meiner Zunge lag ein Geschmack, als hätte ich alten Hering gelutscht. Das Murmeln kam näher und entwickelte sich zu einer Stimme direkt neben mir, die in den Kopf stach.
»Ich hasse Nachtdienst. Messerstiche, Alkoholvergiftungen und gebrochene Nasen… immer das gleiche. Er kann froh sein, daß sein Arm noch dran ist. Der ganze Abfall schwemmt nachts in den Notdienst. Und wir können Doktor spielen. Früher hatte ich Mitleid, jetzt ekelt mich alles nur noch an. Schicken Sie ihn nachhause ins Bett, wenn er aufwacht. Und sagen Sie ihm, wieviel Tabletten er nehmen muß. Wenn er’s nicht versteht, malen Sie’s ihm auf.«
»In Ordnung, Herr Doktor.«
Ich blinzelte. Das weiße Licht blendete mich. Langsam bekamen die Kittel Konturen. Mit dem rechten Arm zog ich mich hoch, der linke schleifte wie leblos hinterher. Zwei Männer betrachteten mich, wie Fischer einen vergifteten Fisch betrachten.
»Bis später, Heckler.«
Ich hob die Hand und keuchte: »Doktor.«
Ohne sich umzudrehen, ging er hinaus. Heckler las Papiere. Ich betastete meinen kaputten Arm, bewegte ein bißchen Ellbogen und Finger, voll tauglich war er nicht. War immer schon schwächer gewesen, mein linker Arm.
»Heckler.«
Nicht, daß er sich mir zuwandte, aber er machte so eine Andeutung und brummte: »Mhm?«
»Was ist mit meinem Arm?«
Er legte das Papier weg und kam ans Bett. Ein junger Krankenpfleger, frisch rasiert, tadellose Fingernägel und weiße Clogs. Breitbeinig mit durchgedrückten Knien stand er vor mir.
»Tja, böse Sache. Beim nächsten Mal«, er schnalzte mit der Zunge, »sollten Sie besser aufpassen.«
»Ich will wissen, was mit meinem Arm los ist.«
Er verschränkte die Arme und wippte auf den Holzsohlen.
»Sie haben leichte und mittlere Prellungen am ganzen Körper und am rechten Arm eine Rißwunde; der linke Arm ist stark infiziert, wir haben ihn so gut es geht genäht.«
Während er sprach, führte er eine Art Pantomime vor.
»Was heißt, so gut es geht?« fragte ich, nachdem ich ihm klar gemacht hatte, daß der Riß im Bein saß und nicht im Gehirn.
»Da wird eine Narbe bleiben, aber«, er schmunzelte, »das ist nicht so tragisch für Sie, oder?«
Wollte er sagen, zum Fotomodell taugte ich sowieso nicht? Ich wünschte ihn zum Teufel und versuchte, aus dem Bett zu kommen. Halb rutschend und halb mich ziehend, gelangte ich zum Stuhl, über dem meine Kleider hingen. Sie rochen übel nach Alkohol.
»Wieso riecht das so penetrant?« erkundigte ich mich.
»Wir haben alles desinfiziert.«
Ich zog die Schuhe an und wankte auf den Flur. Heckler klapperte neben mir her. »In zwei Tagen müssen Sie sich wieder bei uns melden,
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