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Doppelbetten, Einbaumöbel aus echtem Holz, bequeme Sessel und ein Badezimmer mit Wanne. Außerdem stand eine Flasche gekühlter Champagner für sie bereit.
Mary Ann brachte den ersten Toast aus. »Auf Mr. Halcyon. Gott segne Mr. Halcyon.«
»Richtig. Gott segne Mr. Halcyon.«
»Und« – sie füllte die Gläser nach – »auf … auf die Abenteuer der Seefahrt!«
»Und auf die Liebe.«
»Und auf die Liebe!«
»Auf Mrs. Madrigal … auf das Marihuana … auf den Heißhunger nach einem Joint … und auf alle Menschen in Florida außer Anita Bryant!«
»Ja!«
»Aber am allerinnigsten«, sagte Michael plötzlich in gespieltem Ernst, »auf diesen wohlerzogenen, charmanten und so unglaublich geilen Kerl, der wenigstens einem von uns beiden schöne Augen gemacht hat, als wir heute abend an Bord gekommen sind.«
»Wo? Wer?«
»Woher soll ich wissen, wer er ist? Ich bin doch gerade erst angekommen, Mensch. Du hast ihn doch auch gesehen, oder?«
»Ich glaube nicht.«
Michael machte ein verzweifeltes Gesicht und verdrehte die Augen. »Er hat uns permanent angeschaut!«
»Ein Passagier?«
»Ja.«
»Und er hat uns angeschaut?«
»Genau, Kleines.«
Mary Ann biß auf die Spitze ihres Zeigefingers. »Denkst du, er war blind?«
Michael jauchzte und hob sein Glas. »Okay … Auf die Blinden!«
»Auf die Blinden«, stimmte Mary Ann ein.
Mother Muccas Vorschlag
Als der Greyhound kurz vor Tagesanbruch in Truckee, Kalifornien, halt machte, erwachte Mona aus einem unruhigen Schlaf. Sie hatte das deutliche Gefühl, daß sich ihre Zunge in ein totes Pelztier verwandelt hatte. Die bizarre alte Frau neben ihr tätschelte ihr die Hand. »Das ist es noch nicht, Püppi. Schlaf weiter.«
Es? Was war »es«? Wo war »es«?
»Mach dir keine Sorgen, Püppi. Mother Mucca is ja bei dir. Ich paß schon auf dich auf.«
»Hören Sie mal, meine Liebe, ich …«
»Mother Mucca.«
»Okay. Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Hilfe, aber …«
»Dieses idiotische Angel Dust zermatscht dir die Birne. Du hättst dich mal reden hören sollen im Schlaf, Püppi!«
»Das ist mir doch … Was hab ich gesagt?«
»Keine Ahnung. Lauter verrücktes Zeug. Irgendwas über Mäuse.«
»Über Mäuse?«
»Irgend so was. Angehört hat sich’s wie: ›Wo ist die Maus hin? Ich kann die Maus nicht mehr finden.‹ Danach haste dann nach deinem Daddy geschrien. Das war vielleicht ’ne gespenstische Vorstellung, Püppi!«
Mona rieb sich die Augen und beobachtete ihre zombiegesichtigen Mitreisenden, die auf einen Kaffee in die Station von Truckee hinüberschlurften. Sie sahen aus wie übermüdete Infanteristen, die sich für einen Angriff im Morgengrauen wappneten.
Was, in Buddhas Namen, machte sie hier eigentlich?
Als Mother Mucca darauf bestand, sie zum Frühstück einzuladen, hatte Mona nicht mehr die Kraft, um nein zu sagen. Außerdem schien die alte Schachtel ganz gut bei Verstand zu sein, auch wenn sie aussah, als wäre sie einem Fellini-Film entsprungen. »Ich hab mal ’n Mädchen gehabt, das hat auch Judy geheißen.«
»Was?«
»Haste mir erzählt, daß de Judy heißt, oder nich?«
Mona beschloß, so anonym wie möglich zu bleiben, und nickte. Von Mona Ramsey hatte sie erst mal die Nase voll.
»Judy war total prima«, fuhr Mother Mucca fort. »Ich glaub, sie is länger bei mir gewesen wie alle andern.« Sie schüttelte den Kopf, lächelte und verlor sich in schönen Erinnerungen. »Ja, das kann man laut sagen, sie war total prima!«
Mona stellte fest, daß sie langsam Zuneigung zu der Alten entwickelte. »Hatten Sie denn viele Kinder?«
»Kinder?« Sie kotzte das Wort regelrecht aus.
»Sie haben gerade gesagt …«
Mother Mucca lachte wieder gackernd. »Du bist noch ’ne ganze Ecke döfer, wie de aussiehst. Ich red vom allerbesten Puff in Winnemucca!«
Mona war erschüttert, zugleich aber auch fasziniert. Natürlich! Eine waschechte Puffmutter aus Nevada! Ein mageres Überbleibsel aus dem Gewerbe, das im amerikanischen Westen als erstes Encounter angeboten hatte!
»Sie …? Wie lang sind Sie schon …?«
»Ach Gott, Püppi! Wo soll ich da den Strich ziehen!«
Beide lachten herzhaft. Zum erstenmal seit ihrem Kennenlernen lagen sie auf derselben Wellenlänge. Mona war gefesselt von der ungenierten Offenheit dieser ungewöhnlich häßlichen alten Frau.
»Was hat Sie denn nach San Francisco geführt?« wollte sie wissen.
»Ein Treffen der Nuttengewerkschaft. Coyote. Das steht für (Call Off Your Old Tired Ethics‹.«
Mona
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