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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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wussten wir nicht, und es interessierte uns auch nicht. Captain America aber erhielt ein langbeiniges, gertenschlankes weibliches Wesen namens Golden Girl zur Assistentin und mit Sun Girl, Lady Lotus, der Phantom Lady mit dem rabenschwarzen Haar kamen auch schon bald noch andere Damen in der Blüte ihrer Reize hinzu.
    Doch alles Gute hat einmal ein Ende. Dr. Frederic Wertham, ein in Deutschland gebürtiger Psychiater aus New York, begann eine entschlossene Kampagne, um die Welt vom verderblichen Einfluss der Comics zu befreien. In einem extrem beliebten, bestürzend wirkungsvollen Buch mit dem Titel Seduction of the Innocent behauptete er, Comics förderten Gewalt, Folter, Kriminalität, Drogenmissbrauch und ungebremste Masturbation, wenn auch vermutlich nicht alles auf einmal. Grimmig erzählte er, ein von ihm befragter Junge habe gestanden, dass er nach Lektüre eines Comics geradezu „lust- und sexbesessen war«, und übersah die Tatsache geflissentlich, dass die Worte »Lust«, »Sex« und »besessen« für die meisten Jungs zusammengehörten – ob mit oder ohne Comics.
    Wertham sah buchstäblich Sex in allen Schattierungen. Er wies darauf hin, dass auf einem Bild eines Actioncomics der Schatten auf der Schulter eines Mannes genauso aussah wie die Genitalien einer Frau; man müsse es nur schief halten, die Augen zusammenkneifen und seine Fantasie spielen lassen. (Das stimmte. Wo er Recht hatte, hatte er Recht.) Er behauptete auch, was die meisten von uns in unserem tiefsten Inneren wussten, aber nicht gern zugeben wollten – dass viele der Superhelden keine echten Männer der Spezies waren, die heißblütig Mädchen küssten. Vor allem Batman und Robin griff er als »Wunschtraum vom Zusammenleben zweier Homosexueller« heraus. Was sollte man dagegen sagen? Ein Blick auf ihre Strumpfhosen genügte.
    Wertham festigte seinen Ruhm und seinen Einfluss mit Aussagen vor einem Senatsausschuss, der die Geißel der Jugendkriminalität untersuchte. Just in dem Jahr hatte Robert Linder, ein Psychologe aus Baltimore, die These aufgestellt, dass moderne Teenager an »einer Form kollektiver Geisteskrankheit« litten, weil sie Rock ’n’ Roll hörten und tanzten. Jetzt gab Wertham Comics die Schuld an ihren bedauerlichen pubertären Verirrungen.
    James T. Patterson behauptet in seinem Buch Grand Expectations , dass »1955 13 Staaten Gesetze verabschiedeten, die die Veröffentlichung, den Vertrieb und den Verkauf von Comics einschränkten«. Alarmiert und weitere restriktive Maßnahmen befürchtend, ließ die Comic-Industrie von ihrer Vernarrtheit in kurvenreiche Bienen, Blutbäder, Schatten, die ein zweites Hinschauen von schräg unten lohnten, und allem ab, das nur irgendwie aufregend war. Es war ein herber Schlag.
    Zur Bestürzung der Puristen füllte sich der Kiddie Corral mit lahmen Comics über Archie und Jughead oder Disneyfiguren wie Donald Duck und seine Neffen Tick, Trick und Track, die Hemden und Kappen, aber unter der Gürtellinie absolut nichts trugen, was doch eigentlich auch ein wenig ungehörig, aber schon gar nicht gesund war. Allmählich zog der Kiddie Corral kleine Mädchen an, die dort saßen und über die letzten Hefte von Little Lulu und Casper, den kleinen Geist, plauderten, als seien sie bei einer Teegesellschaft. Ein vollkommener Idiot legte sogar Classic Comic Books hinein, die berühmte literarische Werke in Comics verwursteten. Sie wurden natürlich gleich wieder hinausgeworfen.
    Selbstverständlich vaporisierte ich Wertham, doch es war zu spät. Das Kind war in den Brunnen gefallen. Spaß war immer schwerer zu finden, und der, den wir am allernötigsten brauchten, am schwersten. Ich meine natürlich die Sinneslust. Doch das ist eine andere Geschichte und ein anderes Kapitel.

VI

Sex und anderer Zeitvertreib

    London, England (AP) – In einem Verleumdungsprozess gegen den Londoner Daily Mirror sprach ein Gericht dem Entertainer Liberace am Mittwoch Schadenersatz in Höhe von 8000 Pfund Sterling (22 400 Dollar) zu. Die Richter befanden nach dreieinhalb Stunden Beratung, dass der Mirror -Journalist William N. Connor in einem Artikel im Jahre 1956 angedeutet hatte, der Pianist sei homosexuell. Unter den Sätzen, die Liberace in seiner Klage zitierte, war Connors Beschreibung von ihm als »alles, was er, sie oder es sich nur wünschen kann«. Er hatte den Entertainer auch als jemanden beschrieben, der »sich gern für etwas erwärmt«.
Des Moines Tribune , 18. Juni 1959

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