Mein Auge ruht auf dir - Thriller
nicht bemerkte, wie eindringlich er von seinem höchst beunruhigten Vater gemustert wurde, der herauszufinden versuchte, was in seinem Sohn vorging.
26
A m Sonntagabend warteten Alvirah und Willy, bis Mariah und Lloyd Scott vom Gericht zurückkehrten. Betty hatte ihnen noch einen Teller mit Sandwiches und Obst hergerichtet, bevor sie sich zusammen mit Delia verabschiedete. Alvirah sagte nur: »Mariah wird keinen großen Appetit haben, aber vielleicht isst sie ja doch einen Happen, wenn sie wieder hier ist.«
Es war nicht zu übersehen, wie dankbar Mariah ihnen war, dass sie auf sie gewartet hatten. Lloyd Scott trat mit ihr ins Wohnzimmer. Alvirah und Willy kannten ihn bislang nur aus den Fernsehnachrichten, hatten aber bereits da sofort gespürt, dass er der Richtige war, um Kathleen vor Gericht zu vertreten und Mariah zu schützen.
Lloyd wollte eigentlich nicht lange bleiben, Alvirah aber sagte ihm, sie müsse wegen ihres Treffens mit Lillian unbedingt mit ihm reden. »Ich hatte Mariah schon vorhin davon erzählen wollen, aber dann sind Sie gekommen und haben uns mitgeteilt, dass Kathleen überstellt werden muss«, erklärte sie. »Am besten ist es wohl, wenn wir beim Essen alles besprechen.«
Sie ließen sich am Esstisch nieder. Mariah, die beim Brunch kaum etwas zu sich genommen hatte und sich nach den letzten Ereignissen fühlte, als wäre ein Tsunami über sie hinweggedonnert, bemerkte nun, dass sie richtig Hunger hatte. Sie schaffte es sogar, Willy zuzulächeln, als er ihr ein Glas Rotwein hinstellte.
»Das brauchen Sie nach allem, was Sie letzte Woche durchgemacht haben«, sagte er.
»Danke, Willy. Ich danke Ihnen beiden, dass Sie hier ausgeharrt haben, ich danke Ihnen einfach für alles hier«, sagte sie und deutete zum Tisch.
Lloyd Scott nahm sich ein Sandwich und griff zum Glas Wein, das Willy ihm eingeschenkt hatte. »Mrs. Meehan«, begann er.
»Bitte, wir sind Alvirah und Willy«, unterbrach Alvirah ihn.
»Und ich bin Lloyd. Wie Sie vielleicht wissen, wohne ich gleich nebenan. Ich habe Jonathan sehr gut gekannt. Er war ein ganz wunderbarer Mensch. Ihm und natürlich seiner Frau und seiner Tochter zuliebe werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um Kathleen zu helfen.«
Alvirah zögerte kurz, bevor sie das Wort ergriff. »Ich will nicht lange drumherum reden. Wir wissen alle, es ist durchaus vorstellbar, dass Kathleen Jonathan erschossen hat. Andererseits wäre es auch nicht sonderlich schwer, ihr den Mord in die Schuhe zu schieben. Sie kann sich schließlich nicht verteidigen. Wir sollten die Sache daher aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Ich habe mich gestern mit Lillian Stewart zum Essen getroffen.«
»Ach?«, kam es überrascht von Mariah.
»Ja. Sie hat mich angerufen und war völlig aufgelöst. Mariah, vergessen Sie nicht, ich habe sie damals auf der Kreuzfahrt mit Ihrem Vater kennengelernt. Danach sind wir uns nur noch einmal begegnet, als Ihr Vater uns zu seinem Vortrag im jüdischen Kulturzentrum in der 92nd Street eingeladen hat. Wir waren im Anschluss daran noch gemeinsam beim Essen. Zu diesem Zeitpunkt aber haben wir schon Sie gekannt, und Lillian hat gespürt, dass ich mich in ihrer Gegenwart nicht recht wohlfühlte. Danach habe ich sie weder gesehen noch gesprochen, bis sie mich gestern überraschend angerufen hat. Sie wollte mit mir über etwas reden, also habe ich mich einverstanden erklärt.«
»Und was hat sie Ihnen erzählt?«, fragte Lloyd Scott.
»Das ist es ja. Nichts. Als sie mich angerufen hat, klang sie, als könnte sie es kaum erwarten, sich mit mir zu treffen. Aber als wir uns dann im Restaurant gegenübersaßen, muss sie ihre Meinung geändert haben. Im Grunde hat sie mir nur gesagt, wie sehr sie Jonathan vermisse und dass er Kathleen schon längst in ein Pflegeheim hätte geben müssen.« Alvirah lehnte sich zurück. »Aber vielleicht hat sie mir etwas sehr Wichtiges mitgeteilt, ohne dass ihr das selbst bewusst war.«
»Wie meinen Sie das, Alvirah?«, fragten Lloyd Scott und Mariah wie aus einem Munde.
»Ich habe Lillian gefragt, wann sie mit Jonathan zum letzten Mal gesprochen hat. Am Mittwochabend, hat sie geantwortet, fünf Tage vor seiner Ermordung.«
»Aber das kann nicht sein!«, rief Mariah aus. »Ich weiß, dass er Lillian immer am Wochenende besucht hat. Delia – die Wochenendpflegerin – hat es mir gesagt. Er hat den Samstagnachmittag noch mit Mom verbracht, dann ist er aufgebrochen. Und oft ist er erst am Sonntagnachmittag wieder nach
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