Mein Auge ruht auf dir - Thriller
gepflanzt hat. Ich bot an, ihm dabei zu helfen, aber er wollte von mir nichts wissen. Ich hatte gerade wieder einen spitzen Kommentar über Lillian abgegeben. Also hat er sich einfach achselzuckend von mir weggedreht und mich stehen lassen. Mein Gott, Lloyd, wenn wir die Kränkungen, die wir anderen zufügen, doch bloß wieder zurücknehmen könnten.« Sie seufzte.
»Mariah, hören Sie. Ich habe Ihrem Vater sehr nahegestanden. Sie waren die Stimme seines Gewissens. Er hat gewusst, dass er sich auf Lillian nie hätte einlassen dürfen und dass er damit Kathleen und Sie verletzt hat. Vergessen Sie nicht, ich wohne seit mehr als zwanzig Jahren hier und weiß, wie sehr er und Kathleen sich einmal geliebt haben. Ich glaube, er hat gewusst, wäre es andersherum gewesen, hätte es in Kathleens Leben nie einen anderen Mann gegeben.«
»Trotzdem wünschte ich mir, ich hätte mehr Verständnis für ihn aufgebracht. Und wären diese verfluchten Fotos nicht aufgetaucht, hätten Mom und ich gar nicht von seinem Verhältnis zu Lillian erfahren. Wir wären in unserer seligen Unwissenheit sehr viel glücklicher gewesen. Wenn, dann dachte ich immer, dass Lillian und Charles etwas miteinander hätten. Lillian war und ist eine gute Schauspielerin. Aber darüber wollte ich sowieso schon mit Ihnen reden.« Sie sah Lloyd unverwandt in die Augen. »Ich habe viel darüber nachgedacht, und trotz allem, was ich Ihnen gerade erzählt habe, bin ich davon überzeugt, dass Dad das Pergament Lillian zur Aufbewahrung gegeben hat. Und egal, ob er nach seinem Besuch bei Pater Aiden mit ihr Schluss gemacht hat oder nicht, Alvirah zufolge behauptet Lillian jedenfalls, dass sie in den darauffolgenden fünf Tagen bis zu Dads Tod keinen Kontakt mehr mit ihm gehabt hat.«
Lloyd nickte. »Ja, daran hat Alvirah keinen Zweifel gelassen, und ich bin mir absolut sicher, dass sie nie etwas missversteht.«
»Lloyd, nehmen wir an, Dad und Lillian haben sich gestritten. Dann hat sich Lillian vielleicht geweigert, ihm das Pergament zurückzugeben. Vielleicht hatte sie es auch nicht in ihrer Wohnung, sondern in einem Bankschließfach.«
»Sie meinen also wirklich, dass sie das Pergament hat?«
»Da gehe ich jede Wette ein. Lloyd, überlegen Sie doch. Wenn Dad ihr wirklich gesagt hat, dass es vorbei sei, dann war sie wahrscheinlich wütend und verletzt. Ich habe die Fotos gesehen. Sie war sehr in ihn verliebt. Dad hat ihr fünf Jahre ihres Lebens geraubt und sie dann einfach fallen lassen. Sie muss sich hintergangen gefühlt haben.«
Lloyd schwieg einen Moment, brachte aber dann doch den Gedanken zur Sprache, der ihm gerade eingefallen war. »Mariah, angenommen, Lillian ist an dem Montagabend hierhergekommen, um das Pergament zurückzubringen. Die Krankenpflegerin war nicht mehr da. Könnte es sein, dass Ihr Vater sie hereingelassen hat, dass sie sich daraufhin gestritten haben und sie auf ihn geschossen hat?«
»Ich halte alles für möglich – außer dass meine Mutter die Täterin ist«, sagte Mariah. »Ich werde nach New York fahren und Lillian direkt darauf ansprechen. Mein Vater hat ein unschätzbar wertvolles Schriftstück gefunden, das der Kirche gehört. Ich werde dafür sorgen, dass der Vatikan es zurückbekommt.«
Ihre Augen wurden feucht. »Wenn ich den Brief Jesu an Josef von Arimathäa finde und zurückgeben kann, dann wird Dad es irgendwie erfahren, davon bin ich überzeugt, und vielleicht kann ich damit die gehässigen Bemerkungen wiedergutmachen, die ich ihm in den letzten eineinhalb Jahren so häufig an den Kopf geworfen habe.«
42
A m Mittwochmorgen um halb neun saßen Alvirah und Willy in ihrem Wagen vor dem Eingang zu Lillians Apartmentgebäude gegenüber dem Lincoln Center. »Das Gebäude hat nur einen Zugang«, sagte Alvirah mehr zu sich als zu Willy, der die Daily News las. »Hoffentlich werden wir nicht von der Polizei weggescheucht. Ich werde bis neun warten, dann gehe ich rein, nenne dem Pförtner meinen Namen, und wenn ich Lillian in der Gegensprechanlage habe, sage ich ihr, ich hätte Informationen, die sie vor dem Gefängnis bewahren könnten.«
Bei dieser letzten Aussage horchte Willy auf. Bislang hatte er den Sportteil gelesen und war ganz in den Artikel über die Rivalität zwischen den Yankees und den Boston Red Sox vertieft gewesen. »Du hast mir gar nicht erzählt, dass du so viel belastendes Material über sie hast«, sagte er.
»Habe ich auch nicht«, antwortete Alvirah trocken. »Aber ich werde einfach so tun, als
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