Mein bestes Stuck
fühlte sie sich schuldig, dass ihre Eltern ihretwegen so viele Unannehmlichkeiten hatten.
Das Abendessen verlief alles andere als entspannt. Beim Gedanken an all die Dinge, die sie für die Hochzeit am nächsten Tag noch zu erledigen hatte, fühlte sich Julia melancholisch und schwermütig. Es gab noch so viel zu tun! Nicht einmal ihr Kleid hatte sie gesehen – zumindest nicht seit der letzten Anprobe in Paris vor zwei Wochen. Sie wusste nur, dass es oben hing, eingehüllt in Folie und bereit für den morgigen Tag. Auch die kleine Tiara, ein Familienerbstück, hatte sie noch nie zusammen mit dem Kleid probiert. Was, wenn es grauenhaft aussah? Sie musste sich darauf verlassen, dass der Friseur morgen um acht Uhr da sein würde – ihre Schwester hatte es ihr versichert. Und wenn was dazwischenkam und die Leitungen plötzlich tot waren? Wer hatte überhaupt mit der Dudelsackspielerin gesprochen? Und den Konditoren? Den Floristen? Dem Priester, verdammt noch mal! Konnte es morgen überhaupt eine Hochzeit geben? Aus ihrer Perspektive schien
all das ganz weit weg. Und wie musste der arme Luc sich fühlen, so kurz vor der Beerdigung seines Vaters? Und hatte Eleonore sich inzwischen beruhigt?
»Julia? Ju-li-a?«
Ihre Mutter versuchte bereits seit einiger Zeit, ihre Aufmerksamkeit zu erringen.
»Ja, Mum?«
In dem in Kerzenlicht getauchten Esszimmer wurde es plötzlich ganz still.
»Möchtest du vielleicht ein paar Worte sagen?«
Zustimmendes Gemurmel erklang.
»Wie? Du meinst eine Rede?« Julias Hirn fühlte sich plötzlich völlig leer an.
Onkel Quinn, der den ganzen Abend über wie das blühende Leben gewirkt hatte und es sogar geschafft hatte, die strenge Patrizia zu knacken, indem er ihr von seiner Liebe zur Toskana und zu italienischer Kunst erzählt hatte, lehnte sich über den Tisch und tätschelte seiner Nichte die Hand. »Komm schon, Schätzchen! Der Douglas-Clan weiß, wie man eine Gesellschaft im Sturm erobert.«
Julia atmete tief ein. Okay, sie würde eine Rede halten. Sie musste ein paar Worte sagen. Sie würde ihrer Familie von Herzen für alles danken, was sie für sie getan hatte. Sie würde von Lorenzo und seinen Eltern sprechen und von ihren Hoffnungen auf eine glückliche Zukunft. Sie würde ihm sagen, dass sie ihn liebte, und dann, erst dann würde sie über eine andere Familie reden, die sie über die letzten paar Tage liebgewonnen hatte und deren kommendes Wochenende von vollkommen anderen Gefühlen geprägt sein würde. Mit einem zurückhaltenden, aber
entschlossenen Lächeln machte sie sich daran, sich zu erheben.
»Lorenzo!« Patrizias Stimme durchschnitt die gespannte Stille im Raum und brachte die Kerzen zum Flackern. »Das wirst du doch nicht zulassen, oder?«
Mit einem nervösen Blick auf seine Mutter stand Lorenzo auf. »Natürlich nicht. Ladys und Gentlemen, meine Frau wird niemals eine formelle Ansprache halten müssen – dafür bin ich schließlich da.« Er lächelte den Anwesenden breit zu, und Julia sank zurück auf ihren Stuhl. Ihre Mutter sah aus, als wäre sie zu allem fähig.
»Renzo, ist schon in Ordnung …«, wiegelte Julia ab, doch Giuseppe griff nach ihrer Hand und legte einen Finger auf seine Lippen.
»Im Namen meiner zukünftigen Frau und mir …«, setzte Lorenzo an und wurde lediglich von einem antrunkenen Jonty bejubelt, »… möchte ich mich bei euch allen bedanken, dass ihr heute gekommen seid.«
» Bene, Lorenzo.« Seine Mutter nickte zustimmend.
»Und ich möchte euch, Frances und Argyle, oder sollte ich besser Mama und Papa sagen …«
»Papa?«, echote Argyle Douglas und drehte sich ungläubig zu seiner älteren Tochter um. »Meint er mich?«
»Ich möchte euch versichern, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um zu verhindern, dass dieser herrliche Ort dem Meer zum Opfer fällt.«
»Was meinst du damit, mein Lieber?« Frances Douglas’ Stimme klang ruhig und unbeschwert, doch ihre drei Kinder ließen sich nicht so leicht täuschen. Sie sahen einander an und vergaßen für den Moment alle Streitereien und
Spannungen, die so oft unter ihnen herrschten. Denn sie alle wussten: Wenn man von Frances Douglas »mein Lieber« oder »meine Liebe« genannt wurde, hatte man verloren. Zumindest konnte man den Nachtisch vergessen …
Lorenzo sah erst seine Eltern, dann Julias Mutter an. »Meine wunderschöne Mum, ich meine jedes Wort genau so, wie ich es gesagt habe. Frean Hall braucht eine Verjüngungskur, doch das ist nicht eure Schuld. Der
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