Mein bestes Stuck
»Was? Ich hätte dich das Abenteuer hier in Nizza einfach allein zu Ende erleben lassen sollen? Komm schon, Kleines, das konnte ich wirklich nicht! Ich musste einfach hierherkommen und mir selbst ein bisschen Action sichern.«
»Ja, aber Lorenzo, das war wirklich nicht nötig. Du bist so beschäftigt, und eigentlich hätte es ja gar nicht so lange dauern sollen …«
»Hey, ich kann doch mein Mädchen nicht auf dem Schlachtfeld alleinlassen, oder?«
Mein Mädchen. Das hörte sich wirklich seltsam an, wenn man bedachte, dass sie sich vor nicht mal zehn Minuten in den Armen des Mannes befunden hatte, der hier durchnässt und ähnlich dampfend wie sie neben ihnen stand. Schuldgefühle machten sich in ihr breit. Lorenzo schien davon allerdings glücklicherweise nichts zu bemerken. Seine entspannte Art stand in bizarrem Gegensatz zu dem Durcheinander, das in ihrem Kopf tobte.
Schweigend standen sie nun in diesem merkwürdigen, internationalen Zirkel zusammen und fragten sich, was sie nun tun sollten.
»Ich habe dich gar nicht kommen hören, Renzo«, versuchte Julia, das Gespräch wieder in Gang zu bringen. »Bist du mit dem Taxi gekommen?«
»Vor etwa einer Stunde bist du hier angekommen, nicht wahr, mein Freund?« Onkel Quinn schlug Lorenzo herzlich auf die Schulter. Der zuckte dabei leicht zusammen.
»Vor einer Stunde?« Julia war schockiert.
»Ja, genau. Wir haben uns gewundert, wo du wohl steckst.«
Julias Magen drehte sich schier um, doch zum Glück schien Lorenzo keinerlei Verdacht zu schöpfen. Und als sie über seine Schulter schaute, sah sie zwei leere Weingläser auf dem marmornen Kamin stehen.
Er ist schon seit einer vollen Stunde hier …
Sie spürte, wie der Boden unter ihren Füßen langsam nachzugeben schien, und hatte einen Moment lang das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen. Lorenzo war nur wenige Meter entfernt und in diesem Haus gewesen, während sie in der Weinkammer in Lucs Armen gelegen hatte.
Ihr war ganz furchtbar schwindlig, als sie sich ihrem Onkel zuwandte. »Aber du wusstest doch, wo wir waren. Wir haben doch zusammen gesessen beim Frühstück. Und du hast uns zugehört, Onkel Quinn.«
Doch der schaute nur vollkommen verständnislos drein.
»Erinnerst du dich nicht? Da hat Luc uns beiden angeboten, uns zu zeigen, wo und wie der Wein gekeltert wird. Du … du hättest Lorenzo rüber zu der Scheune mit den Weinpressen bringen können, und ihr hättet uns sofort gefunden!«
Und Luc hätte mir nie gestanden, dass er Gefühle für mich hat, und mich nie in seine Arme genommen …
Onkel Quinn kratzte sich zerstreut am Kopf und strich dann seiner Nichte zärtlich über das zerzauste Haar. »Aber Schätzchen, du weißt doch, wie ich morgens bin. Wenn du mir nicht gerade mitteilst, dass Charles Aznavour auf einen Kaffee vorbeikommt, stehen die Chancen, dass ich mir komplexe Informationen merken kann, um diese Tageszeit eher schlecht.«
Julia glaubte ihm kein Wort.
»Wie auch immer, es ist ja niemandem etwas zugestoßen, nicht wahr? Lorenzo und ich haben die Zeit genutzt, uns näher kennenzulernen, und das war wirklich eine große Freude für mich. Was für ein interessanter Mann!«
Lorenzo strahlte. »Du bist wirklich zu liebenswürdig, Onkel Quinn – ich darf dich doch auch so nennen?«
»Mein lieber Junge, das darfst du nicht nur, das musst du sogar!«
»Wollen wir uns nicht vielleicht alle setzen?« Lucs kühle, distanzierte Stimme, die genauso wie gestern klang, als er noch dachte, sie habe Eleonores Tagebuch gelesen, überraschte Julia. »Ich könnte uns Kaffee bringen lassen.«
»Das wäre nett«, sagte Lorenzo lächelnd. »Vielen Dank.«
Mit einer fast divenhaften Armbewegung sah Onkel Quinn auf seine Armbanduhr. »Ach du liebes Lieschen, wie ich wohl schon seit dreißig Jahren nicht mehr gesagt habe; ich muss mich beeilen – heiße Verabredungen warten nicht.« Leicht wie ein Sommerwind schwebte er an ihnen vorbei, küsste erst Julia, dann Luc und schließlich Lorenzo auf beide Wangen und machte sich auf, den Salon zu verlassen.
»Heiße Verabredungen?«, wiederholte Julia. »Was führst du im Schilde, Onkel Quinn?«
Er zwinkerte ihr zu. »Stell keine Fragen, Süße, dann muss ich die Wahrheit nicht frisieren! Luc, mein Lieber, kein Kaffee also für mich und auch kein Mittagessen, aber vielen, vielen Dank trotzdem. Und, Julia …«
»Ja, Onkel Quinn?«
Er sah ihr tief in die Augen und lächelte sie wohlwollend an. »Du siehst wirklich ganz reizend aus, selbst wenn du
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