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Mein bis in den Tod

Mein bis in den Tod

Titel: Mein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter James
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Ritual seines Vaters zu und wartete darauf, seine Pflicht zu tun. Zuerst wurde das Zellophan der Zigarettenpackung sorgfältig geglättet, dann gefaltet, dann noch einmal geglättet, dann noch einmal gefaltet und noch einmal, bis es so klein war, dass man es nicht mehr falten konnte; dann legte sein Vater es sorgfältig auf den kleinen Tisch – den Ross, als er am Nachmittag aus der Schule kam, poliert hatte, bis er spiegelblank war, so wie jede Oberfläche im Haus seines Vaters spiegelblank war.
    Selbst sein dickes schwarzes Haar, das er mit Pomade glatt nach hinten gekämmt hatte, glänzte. Ross roch die Frisiercreme und das Old-Spice-Aftershave, das sich sein Vater jeden Morgen ins Gesicht spritzte.
    Jetzt kam die Goldfolie dran. Abermals glättete Joe Ransome mit der Konzentration eines Mannes, dem die wichtigste Aufgabe, die das Menschengeschlecht je ersonnen hatte, aufgetragen war, die Folie und faltete sie. Dann legte er sie sorgfältig neben das Zellophan und begann mit dem dritten Teil des Rituals – der Inspektion der Geschenk-Gutscheine.
    Während der Vater die erste der zehn Zigaretten – immer genau zehn, nie weniger oder mehr –, die er heute Abend rauchen würde, herauszog und diese mit einem Streichholz anzündete, trug Ross die Folie und das Zellophan aus dem Zimmer und warf sie in den Mülleimer in der Küche. Dann kehrte er zurück, um die Gutscheine zu holen, und ging damit, ohne den Vater zu stören, der jetzt die Wett-Tabellen studierte, durch die Küche, um sie in den weißen Krug mit Korkdeckel zu legen. Auf dem Notizblock daneben notierte er mit dem Bleistift, der zu diesem Zweck dort lag, die neue Gesamtsumme: 437.
    Der Katalog, in dem die Geschenke abgebildet waren, die man gegen die Gutscheine eintauschen konnte, wurde auf einem Kiefernregal in der Küche aufbewahrt, direkt über dem Brotkorb, in dem das Rezeptbuch seiner Mutter lag. In dem Katalog gab es so aufregende Sachen wie Angelruten und Fahrräder und so langweiligen Kram wie Teekessel und Rasenmäher. Ross hegte den geheimen Wunsch, dass sein Vater sparte, um ihm das neue Blue-Streak-Rennrad von Raleigh zu kaufen, das er sich sehnlichst wünschte.
    Doch irgendwie hielt er das für unwahrscheinlich.
    »Juuuunge!«
    Der Tonfall jagte ihm Angst ein, und er rannte ins Wohnzimmer zurück.
    Das Gesicht weiß vor Wut, zeigte sein Vater auf den Fußboden. Zu seinem Entsetzen sah Ross den Gegenstand, ein Dinky-Auto, das umgekippt vor dem Sofa lag.
    »Warum liegt das hier?«
    Schweigend erwiderte Ross den Blick.
    »Warum liegt das Auto da, Junge?«
    Stotternd vor Angst antwortete er: »Ich – ich weiß es nicht, Daddy.«
    Joe Ransome hielt seine Zigarette fest zwischen Zeigefinger und Daumen, er führte die Zigarette an die Lippen, inhalierte tief, hielt sie wie einen Dartpfeil in der Hand und stieß damit wütend in Richtung seines Sohnes. »Du weißt doch, dass deine Mutter uns genau deswegen verlassen hat, oder, Junge? Sie konnte die Unordnung nicht mehr ertragen, die du überall angerichtet hast. Sie konnte dein unordentliches Zimmer nicht mehr ertragen – dass deine Spielsachen immer überall herumlagen. Du hast deine Mutter aus dem Haus getrieben. Begreifst du das?«
    Ross hob die Riley-Limousine auf, dann stand er unbeweglich da, den Kopf vor Scham gesenkt, die Augen feucht, zitternd vor Angst.
    »Hol mir den Rohrstock.«
    »Daddy, ich –«
    »Den Rohrstock.«
    Ross griff hinter das Klavier, zog den dünnen Bambusstock hervor und trug ihn zu seinem Vater.
    »Auf die Knie, Junge!«
    Er stopfte sich das Auto in die Hosentasche, kniete sich hin und streckte die Hände aus, Handflächen nach oben.
    Sein Vater hob den Stock und schlug mit seiner ganzen beträchtlichen Kraft zu, sechsmal auf jede Hand.
    »Und jetzt geh auf dein Zimmer und mach deine Hausaufgaben.«
    Während ihm Tränen in die Augen schossen, stellte Ross mit tauben Händen den Stock hinter das Klavier zurück und verließ das Zimmer.
    Als er die Treppe hinaufstieg, überkamen ihn die Schmerzen, und sein ganzer Körper verkrampfte sich. Er hob die Hände, ließ sie fallen, öffnete die Finger, ballte sie wieder, um den Schmerz loszuwerden, schlug die Fingerknöchel aneinander, versuchte etwas zu tun, irgendetwas, damit diese rasenden Schmerzen aufhörten. Seine Hände brannten, als hätte man sie in kochendes Wasser oder konzentrierte Säure getaucht. Und durch sein Wimmern hörte er seinen Vater brüllen:
    »Du hast sie aus dem Haus getrieben. Vergiss das

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