Mein bis in den Tod
Hammerhai Fratzen geschnitten hatte.
Sie wirkten wie jede andere Familie in den Ferien, die sich amüsierte. Es ist leicht, dachte Faith, anderen Leuten vorzugaukeln, man sei glücklich. Man musste nur Händchen haltend herumschlendern, und schon glaubten alle, es gehe einem gut, man sei verliebt und habe ein schönes Leben. Nur wenige wussten, was hinter den geschlossenen Türen geschah. Kaum jemandem war klar, dass sie jeden Abend beim Essen betete, Ross möge zu viel trinken und einschlafen, gleich nachdem sie zu Bett gegangen waren, anstatt mit ihr schlafen zu wollen.
Oliver tippte auf die Tastatur eines PC s, und der Bildschirm erwachte zum Leben. Ihr Name erschien oben in einer großen, leeren Form.
»Okay, ich möchte mir nur ein paar grundlegende Dinge notieren. Ich benötige hierzu Ihr Geburtsdatum.«
Ihr wurde wieder schlecht. Die Übelkeit, mit der sie aufgewacht war und unter der sie auch noch im Zug gelitten hatte, war verschwunden, als sie Oliver am Victoria-Bahnhof gesehen hatte. Diese Übelkeit war anders – nicht die Art, die auf Grund einer Erkrankung entsteht, sondern die Art, die aus Angst resultiert. Angst vor dem Mann in der Lederjacke unten auf der Straße.
Sie nannte ihm ihr Geburtsdatum.
»Ihr Hausarzt – dieser Dr. Ritterman –, hat er Sie gründlich untersucht, als Sie bei ihm waren?«
»Na ja, die Untersuchung kam mir recht gründlich vor.«
»Und Sie sind im Allgemeinen in guter Verfassung, außer was diese Angelegenheit betrifft?«
Sie hob die Schultern. »Ich versuche, mich einigermaßen in Form zu halten – gehe jeden Tag fünf bis sechs Kilometer mit dem Hund spazieren, schwimme im Sommer ziemlich oft, besuche zweimal pro Woche das Fitnessstudio und mache Aerobic – na ja, bevor ich im Urlaub war. Aber Dr. Jules Ritterman …« Sie hielt inne.
»Was ist mit ihm?« Er forderte sie auf, Platz zu nehmen.
»Er war noch nie sehr gesprächig, und zu dieser Geschichte hat er sich überhaupt nicht geäußert. Ich weiß nicht, ob das vielleicht daran liegt, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt, oder ob er eine ernsthafte Krankheit vor mir verbirgt.«
»Warum sollte er?«
Sie blickte zu dem summenden Neonlicht hinauf.
»Weil ich Ross’ Frau bin – dieses genetisch benachteiligte X–Chromosom irgendwo ganz unten in der geistigen Nahrungskette.« Sie verkniff sich weitere Bemerkungen. »Verzeihung, ich will nicht herumschimpfen. Aber es ärgert mich irrsinnig, wenn ich bevormundet werde.«
»Mit Recht. Das gehört zum Voodoo der Schulmedizin. Ungefähr vergleichbar damit, dass die Ärzte in früheren Zeiten ihre Rezepte auf Latein schrieben, damit man sie nicht entziffern konnte.«
Oliver zog ihr einen Stuhl heran und betrachtete sie eine Weile schweigend. Faith war etwas unbehaglich zumute. Sie roch den angenehmen, maskulinen Duft seines Rasierwassers und spürte seine Energie, denn ungeachtet seines Intellekts strahlte er etwas Animalisches, etwas Muskulöses und Starkes aus. Er trug ein unauffälliges, aber modisches schwarzes Jackett, einen schwarzen Rollkragenpullover, eine schwarze Hose, Stiefeletten. Das Schwarz unterstrich die feine Knochenstruktur seines Gesichts, die Aufgewecktheit seiner titangrauen Augen hinter seiner Brille, die grauen Strähnen in seinen ungekämmten Locken.
Und sie bemerkte noch etwas, das sie schon einmal gespürt hatte: die innere Härte eines Mannes, der absolutes Vertrauen in das eigene Tun hat und sich in seiner Haut absolut wohl fühlt.
Tief in ihr regte sich etwas: die Sehnsucht nach diesem Mann, die mit jedem Augenblick, den sie mit ihm verbrachte, größer wurde. Aber sie musste diesem Gefühl Einhalt gebieten und sich in Erinnerung rufen, warum sie hier war. Weil er sie vielleicht heilen konnte. Das war alles. Sie musste es Ross sagen und ihm dabei in die Augen sehen können, denn es würde einen Riesenkrach geben, wenn der Privatdetektiv ihm Bericht erstattete.
»Oliver, darf ich Sie etwas fragen? Bitte versprechen Sie mir, ganz ehrlich zu antworten. Sie müssen mir ganz offen sagen, wenn etwas mit mir nicht stimmt, egal, wie schlimm es sein mag.«
»Gehen wir einmal davon aus, dass wir nichts finden werden, über das Sie sich Sorgen machen müssen. Okay?«
»Nun bevormunden
Sie
mich!«
Er lachte. »Sie haben Recht. Ich entschuldige mich. Aber bitte verstehen Sie: Wenn wir
wirklich
etwas Schlimmes finden, wird es – was immer es ist – große Schwierigkeiten bekommen, weil es sich dann mit
mir
auseinander
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