Mein bis in den Tod
er sich ihr gegenüber. Weil sie jetzt mit dem Rücken zur Kamera saß, sah er durch die merkwürdige Fischaugenverzerrung des Objektivs die Ober- und Rückseite ihres Kopfs und eine Frontalansicht von Cabots Gesicht.
»Die Schulmedizin zielt meist auf die Krankheit selbst ab. Ich versuche das Immunsystem des einzelnen Patienten zu verstehen und zu stärken. Dabei verwende ich Hypnose und andere Trancezustände, manchmal in Kombination mit Medikamenten und Naturheilprodukten. Seit über tausend Jahren ist bekannt, dass die Seele den Körper beeinflusst, dass wir alle die Kraft zur Selbstheilung in uns tragen. In den USA gibt es einen Professor für Immunologie, der kürzlich sagte, dass die Seele unser Immunsystem sei. Das ist auch meine Ansicht, und so möchte ich mit dir arbeiten. Wie findest du das?«
»Das macht Sinn«, sagte Faith.
»Als Erstes möchte ich dich zu einem Labor schicken, es wird ein paar Bluttests durchführen, die mir helfen, dein Immunsystem zu verstehen. Jedes menschliche Immunsystem ist einzigartig, und ich muss genau wissen, auf welche Gebiete deines Immunsystems wir einwirken müssen.«
»Ich habe ein paar Ersparnisse. Wie viel kosten die Untersuchungen?«
»Ungefähr tausend Pfund.«
Du verdammter Beutelschneider
, dachte Ross.
Jesus Maria!
»Wie schnell kann das Labor sie durchführen?«
»Ich rufe sofort dort an – kannst du vielleicht gleich hinfahren? Mit dem Taxi bist du in fünf Minuten dort.«
»Bitte«, sagte sie.
Ross’ Telefon klingelte wieder, dann noch einmal. Er schlug auf den Pause-Knopf. »Was ist denn, Lucinda?«
»Mr. Seiler von der Credit-Shiel-Bank in Zürich ist am Apparat – er sagt, er müsse dringend mit Ihnen sprechen. Und Mr. Sirwan hat einen anderen Termin – er kann nur noch fünf Minuten warten.«
»Stellen Sie Seiler durch.«
Einen Augenblick später hörte Ross das vertraute gebrochene Englisch des Schweizer Bankmanagers.
»Guten Tag, Mr. Ransome. Wir haben Ihr Fax erhalten, ich möchte bitte nur Ihre mündliche Bestätigung. Wir werden heute 25 000 Pfund in Euro auf das Konto der Benina Corporation SA in Puerto Banus überweisen. Ist das korrekt?«
»Das ist korrekt.«
»Vielen Dank, Mr. Ransome.«
Ross legte auf und schaute mit grimmiger Befriedigung auf das leicht flackernde Standbild von Oliver Cabot auf dem Bildschirm. Die Anzahlung für Ronnie Milward war unterwegs.
Die eine Hälfte sofort, die andere nach Ausführung.
Er schaltete das Fernsehgerät aus und wies seine Sekretärin an, Mr. Sirwan zu ihm hereinzuschicken.
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52
F aith zog ein Holzklötzchen zu viel aus dem wackeligen Turm.
»Timberrrr!«, rief Alec.
Hilflos sah sie zu, wie alle 54 Holzbauklötze erneut auf den Küchentisch herunterprasselten, mehrere fielen über die Kante auf die Eichendielen, eines blieb Zentimeter vor der Nase des schlafenden Rasputin liegen, der sich nicht rührte.
Alec lehnte sich lachend in seinem Stuhl zurück und zeigte mit dem Finger auf seine Mutter. »Du hast es getan! Duuu! Dumme Mami!«
Faith lächelte zurück und bemühte sich, nicht in Tränen auszubrechen, kniete sich hin und bückte sich unter den Tisch, um die Stücke vom Fußboden aufzuheben – und um ihre Fassung wiederzugewinnen. Sie wusste, warum sie immer wieder verlor: Um das Spiel zu gewinnen, brauchte man eine ruhige Hand, aber sie zitterte zu stark.
Nur einmal hatte das Zittern aufgehört, am gestrigen Abend, als sie nach den Tests aus London zurückgekommen war und Sammy Harrison gebeten hatte, auf einen Drink vorbeizukommen. Als Faith ihr von der Diagnose und von Oliver erzählt hatte, redete Sammy enthusiastisch über eine Cousine, bei der vor acht Jahren Krebs diagnostiziert wurde und die einen Alternativmediziner aufgesucht hatte und inzwischen von der Krankheit geheilt war.
Nachdem Alec zu Bett gegangen war, hatten sie zusammen eine Flasche Chablis geleert, und eine Stunde lang, vielleicht auch mehr, war Faiths Zuversicht durch den Alkohol in höchste Höhen gestiegen. Dann, nachdem Sammy nach Hause gegangen war, stürzten die ausgebrannten Reste dieser Hoffnung zur Erde zurück.
Um drei Uhr morgens lag sie in ihrem großen Himmelbett, hellwach, im klaustrophobischen Griff der Angst, und kämpfte gegen die furchtbare Sehnsucht an, ihre Mutter anzurufen und ihr alles zu erzählen. Ihr kam sogar der Gedanke, dass ihre Mutter vielleicht schon Bescheid wusste, dass Ross sie informiert und gesagt hatte: »Erzähl Faith nichts davon, sie würde damit
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