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Mein digitales Ich

Mein digitales Ich

Titel: Mein digitales Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ariane Christian u Greiner Grasse
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es also so weit.
    »Mein Arzt sagte mir in glasklaren Worten, dass ich mir künftig Insulin spritzen müsse«, erzählt Dan. »Der Rubikon war überschritten.«
    Der Bluttest Ende Dezember 2011 hatte einen Glykohämoglobin-Wert von 12,2 angezeigt. Werte zwischen 5,7 und 6,4 gelten als Vorstufe zu Diabetes, bei über 6,5 ist man Diabetiker.
    »Traurig und wütend verließ ich die Klinik«, sagt Dan. »Ich wollte die medizinische Prognose einfach nicht akzeptieren. Ichwollte mir nicht für den Rest meines Lebens Insulin spritzen. Und ich wollte weder erblinden noch meine Füße verlieren.« Beides sind typische Langzeitfolgen bei Diabetes. Für Dan Horn war das die reine Horrorvision, auf gar keinen Fall durfte es so weit kommen! »Ich sah, dass mein Körper in schlechtem Zustand war«, sagt Dan. Die Ursache ist für ihn eindeutig: »Wegen der ›Software‹, die in meinem Gehirn lief.«
    Dan Horn gerät ins Schwärmen über die Möglichkeiten zur Selbsthilfe, die die winzigen, nahezu unsichtbar am Körper tragbaren Messgeräte bieten. Er erzählt, wie er seinen Blutzuckerspiegel ab sofort jeden Morgen und nach jeder Mahlzeit gemessen und die Daten via Drittsoftware getrackt hat. Außerdem wurde über Withings sein tägliches Körpergewicht in die Cloud geladen, und einem Nike FuelBand in Kombination mit einem Fitbit überließ er es, rund um die Uhr zu kontrollieren, ob er sich auch genug bewegte. Sechs Monate später war sein Glykohämoglobin auf 5,4 gesunken, also auf einen absoluten Normalwert.
    Dan fasst seine Geschichte so zusammen: »Einerseits hatte mir ein professioneller Mediziner schonungslos die Wahrheit über meinen Gesundheitszustand ins Gesicht gesagt. Andererseits half mir eine Reihe von Diensten und Devices, mit denen ich mich ausgestattet hatte, mir meines Verhaltens bewusst zu werden – und es zu ändern. Ich hatte mich gewissermaßen durch Daten selbst geheilt.« 15
E rzähle mir, wie du lebst – und ich sage dir, was dir fehlt
    Geschichten wie die von Dan Horn aus Portland sind für den Berliner Arzt Wilhelm Breitenbürger Wasser auf die Mühlen seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Allgemeinarzt. Der 64-Jährige betreibt seit 30 Jahren eine Praxis für Allgemeinmedizin und Psychosomatik in Berlin-Kreuzberg. Ihm liegt der mündige Patient am Herzen, der aufgeklärte, der selbst an seiner Heilung mitarbeitet, statt passiv zu bleiben und sich mit Medikamenten abspeisen zu lassen. Und wenn es jetzt die passende Technik gibt, die diesen Ansatz unterstützen kann – umso besser.
    Bevor er sich 1983 mit einer eigenen Praxis niederließ, hatte er verschiedene medizinische Fächer ausprobiert: Chirurgie, Innere Medizin und HNO, er war Arzt in einer Naturheilklinik, übernahm Landarzt-Vertretungen. Schließlich dann die eigene Praxis.
    »Damals, als Landarzt-Praxisvertretung, hatte ich teilweise 120 Durchläufe pro Tag. Also 120 Patienten pro Tag in zwei Sprechzimmern. Da wusste ich, was ich nicht wollte.«
    Es ist Mittwochnachmittag. Wir sitzen in einem Café am Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer. Jeden zweiten Mittwoch nimmt sich der Arzt frei. Es ist eine bewusste Pause, ein Freiraum, in dem er Sport macht, sich mit Leuten trifft, sich weiterbildet, durch Lektüre und durch das Leben selbst – nicht nur, aber auch, um ein guter Arzt sein zu können.
    »In dieser Zeit als Landarzt-Vertretung sind mir viele Menschen begegnet, mit denen ich mich gerne bemüht hätte aufzudecken, warum sie krank geworden sind, und mit denen ich gerne durchgesprochen hätte, was zu tun ist. Aber um die Arbeit einigermaßen zu schaffen – das Wartezimmer war immer voll –, griff ich zu den Rezeptformularen, wissend, dass die Medikamente schnell wirksam waren. Allerdings: An den vielen Wiederholungsrezepten, die ich nebenbei noch unterschrieb – täglich bis zu 100 Stück – merkte ich, dass da was nicht stimmte.«
    Wer zu Wilhelm Breitenbürger in die Praxis kommt, kriegt etwas Seltenes geboten: einen Arzt, der Zeit hat. Durchschnittlich eine halbe Stunde nimmt sich der Wahlberliner für jeden Patienten.
    »Ich sitze da und kann erst einmal eine gründliche Anamnese machen«, sagt Breitenbürger, »durch Fragen und Zuhören. Ich untersuche auch körperlich und kann meistens eine ausreichend gute Diagnose stellen, ohne dass ich gleich in die technische Abklärungsdiagnostik gehe. Die dient oft genug nur der Absicherung des Arztes. Viele Arztbesuche wären vermutlich überflüssig, wenn die Leute mehr praktisches Wissen über

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