Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
die vertrauensvolle und intensive persönliche Zusammenarbeit zwischen Staats- und Regierungschefs gehabt, das meine ich für die ganzen letzten fünf Jahre. Diese Begegnungen werden ja nun ihrer Dramatik entkleidet und hoffentlich auch der großen Erwartungen. Tausend Journalisten sind letztes Mal in Paris zusammengeströmt, als die Regierungschefs sich trafen. So ein Unsinn – es hätte angesehen werden sollen als ein routinemäßiges Meeting, so, wie es in Zukunft zwei-, dreimal im Jahr sein wird.
Wir haben gezeigt, dass auf unsere Kooperation gezählt werden kann in dieser krisengeladenen Zwischenepoche. Unsere Zustimmung zu der europäischen Gemeinschaftsanleihe oder zum europäischen Regionalfonds oder die Zahlungsbilanzhilfe für Italien, das sind Opfer, die die deutsche Bundesregierung zu Lasten aller Bürger der Bundesrepublik Deutschland nicht ohne sorgfältige Analyse und nicht ohne vielfaches Hin- und Herüberlegen, ob sie zumutbar sind gegenüber den eigenen Bürgern, schließlich doch gebracht hat. Wobei mir wichtiger noch als diese materiellen Fortschritte erscheint die enge, persönlich fundierte Berührung, auch die institutionellen Vereinbarungen, die zum Beispiel beim letzten Meeting der Staats- und Regierungschefs in Paris zustande gebracht worden sind. Die harten Nüsse, wie die Einstimmigkeit von Ratsbeschlüssen oder Direktwahlen zum Europäischen Parlament, sind nicht geknackt, das kann man nicht behaupten; aber sie sind ein bisschen angeknackt. So, glaube ich, kann man es schon sagen.
Die Vereinbarung, dass die Regierungschefs sich künftig regelmäßig treffen, insbesondere aber die Vorstellung, die nun in die Köpfe von neun Regierungen eingezogen ist, der Notwendigkeit zu paralleler, besser gesagt: komplementärer Ausrichtung ihrer jeweiligen ökonomischen Politiken, das ist ein unbestreitbarer Fortschritt, den man unverbesserlichen Pessimisten vorhalten darf. Ich selbst bin weder ein Pessimist noch ein Optimist, ich bilde mir ein, mit einigermaßen Distanz diese Entwicklung zu beurteilen und möchte gleichwohl sagen, dass Europa Ende des vorigen Jahres doch ein kleines Schrittchen wieder in Bewegung gekommen ist. Das gilt natürlich insbesondere auch für den Aspekt der englischen Mitgliedschaft.
Die weitgesteckte Perspektive einer Wirtschafts- und Währungsunion wollen wir nicht aus den Augen lassen. Aber die Gemeinschaft ist immer noch in einem Entstehungsprozess, sie ist im Werden, es werden noch andere Politiken und neue Probleme hinzukommen, die gelöst werden müssen, ehe man zu jenem weitgesteckten Ziel gelangt.
Mir selbst ist eigentlich immer unklar gewesen seit 1957 , warum eigentlich die Sechs und später die Neun, die ja doch weitgehend Industrieländer sind, so schrecklich auf die Agrarpolitik fixiert waren. Ein unbefangener Beobachter hätte meinen können, nach dem Maß der Aktivität (nicht nur des bedruckten Papiers!) sei das Ziel der Europäischen Gemeinschaft ausschließlich der Aufbau eines gemeinsamen Agrareuropas gewesen und sei es noch. 2000 agrarpolitische Fernschreiben an alle Zolldienststellen pro Jahr! Vielleicht ist man damals, als dies alles angefangen wurde, in den Verhandlungen, die zum Römischen Vertragssystem geführt haben, nicht weitsichtig genug gewesen, jedenfalls denke ich das. Das Modell gemeinsamer Agrarpreise für damals sechs, inzwischen neun Staaten setzte natürlich voraus wenn nicht eine Wirtschafts- und Währungsunion, so doch jedenfalls eine absolut parallel verlaufende Währungsentwicklung und Preisentwicklung – und damit parallele Wohlstandsentwicklung in sechs oder neun Ländern! Auf der anderen Seite hat man genau gewusst, dass der Wohlstand sich verschieden entwickelt und dass enorme Anstrengungen notwendig würden, um zu einer einigermaßen gleichmäßigen Wohlstandsentwicklung zu kommen.
Das sind ja jetzt die Probleme, die wir in Deutschland haben werden, nämlich unseren eigenen Bürgern klarzumachen, dass manches, was wir uns vielleicht leisten könnten, wir uns nicht leisten dürfen, weil unsere europäischen Partner diese Leistungen von uns bekommen sollen und nicht die eigenen Bürger. Ein ganz großes, auch innenpolitisches Problem! Ich sehe nicht, dass die von Herrn Professor Carstens angeführte Opposition dafür auch nur einen Pfifferling geben würde, dass sie ihre europäischen Sonntagsreden entsprechend finanzwirtschaftlich realistisch honorieren würde.
Das Tempo der zukünftigen europäischen Entwicklung steht
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