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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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ganz neuartigen und immer subtiler werdenden Formen der Machtausübung in diesen Feldern auseinanderzusetzen haben, dass wir uns ihnen ausgesetzt sehen und dass wir unvermeidlicherweise mit dem, was wir auch nach bester Überlegung, nach bester Analyse unsererseits tun, Machtfaktoren bewegen. Zwar wird nicht mehr, gleichsam automatisch, heutzutage mit physischer Gewalt gedroht; relativ selten geschieht das noch, wenn der eigene politische Wille von einem Staat durchgesetzt werden soll, obgleich doch diese physische Gewalt immer noch als »Ultima Ratio« oder, besser, jedenfalls zum Teil, als »Ultima Irratio« in der Hinterhand bleibt. Aber es gibt inzwischen andere Waffen oder andere Instrumente der Auseinandersetzung, die ebenso tiefgreifende Wirkungen haben können. Wie brisant die Wirkungen sind, sehen wir an der gegenwärtigen Weltrezession, die ganz wesentlich herbeigeführt ist durch die Entwicklung auf dem Welterdölmarkt im Laufe von weniger als 18 Monaten …
     
    Lassen Sie mich jetzt – das schließt sich zwanglos an – übergehen zu Fragen der Europapolitik. Wenn ich geäußert habe, wir hätten Hoffnung, 1975 in Partnerschaft und in kooperativem Handeln mit der Sache auf dem ganzen Erdball einigermaßen fertig zu werden, dann sollte ich es vielleicht noch etwas vertiefen. Ich bitte um Entschuldigung für das Selbstzitat, aber auf dem Parteitag 1966 in Dortmund habe ich einmal dieses Wort gebraucht: »Hoffnung muss sich paaren mit dem Mut, mit der Beharrlichkeit, mit der Vernunft und mit der Treue zu den Prinzipien, nach denen man angetreten ist.«
    Eben auch mit der ökonomischen Vernunft, füge ich heute hinzu! Zur Vernunft gehört Mut zur intellektuellen Redlichkeit. Und Beharrlichkeit braucht man, um an den Zielen festzuhalten, die man sich gesteckt hat. Auch politische Kreativität ist notwendig, um immer dann einen anderen Weg zum gesteckten Ziel zu suchen, wenn der alte Weg nicht mehr gangbar ist. Vernunft brauchen wir insbesondere, um die Nöte und die Zielsetzungen der anderen, der Partner, zu erkennen. Das Wichtigste ist, dass man die Fähigkeit hat, sich in die Schuhe der anderen zu versetzen und dasselbe Problem mit ihren Augen zu betrachten und von ihren Interessen und von ihren Befürchtungen, von ihren Aspirationen und von ihren Ängsten aus, wenn man selbst sich nicht in Irrwege verrennen und das Maß der Dinge nicht verlieren will. Treue schließlich gegenüber dem eigenen Willen zum Frieden, zur Versöhnung, zur Verständigung, Treue gegenüber den Menschenrechten gehört zu den sittlichen Grundlagen der Politik.
    Wenn man nach solchen, hoffentlich nicht allzu pathetisch klingenden Worten dann an Europa denkt und an das Kleinkarierte und an das schrecklich Ermüdende, das heute oft das Geschäft in Brüssel ausmacht (nicht nur bei den Agrarministerrats-Verhandlungen), dann fällt mir ein Wort von Walter Scheel aus dem vorigen Jahr ein. Er hat am 28 . März im Bundestag gesagt:
    »Europa kann nicht entstehen als Verlängerung des Willens einer einzigen Nation oder mehrerer Nationen. Europa kann auch nicht entstehen aus einem Mächtegleichgewicht innerhalb der Neun. Wer Europa will, der muss verzichten und der muss auch zurückstecken.«
    Jeder wird das unterschreiben, und keiner tut es; und deswegen der tägliche Streit, der tägliche kleinkarierte Streit um zum Teil sehr kleinkariert aufgemachte Probleme. Es ist die Meinung der deutschen Bundesregierung, dass wir in der EG eine Politik der Aufrichtigkeit und der Ehrlichkeit gegenüber allen treiben, unabhängig davon, wie weit nun gerade in einer bestimmten Situation der eine oder andere Partner die gleiche Ehrlichkeit manifestiert. Aber, ob wir das Recht haben, auf andere mit Fingern zu zeigen, das zu ventilieren will ich lieber der Diskussion in der diesbezüglichen Arbeitsgruppe überlassen.
    Wir haben uns ehrlich bemüht um Interessenausgleich in Europa all die Jahre, auch im letzten Jahr und auch gegenwärtig. Und wir verfallen auch nicht in heuchelnde Schmeichelei dort, wo in Wahrheit der Finger auf wunde Punkte gelegt werden muss.
    Ich glaube, dass uns Europäern in den letzten zwei Jahren wieder bewusster geworden ist, was Europa eigentlich für uns sein sollte, wie notwendig wir Europa haben. Ich bin nicht sicher, ob ich schon sagen darf: Die Gefahr, dass die Europäische Gemeinschaft, was einen ihrer Partner betrifft, sich verkleinere, dürfte gebannt sein. Aber wenn sie gebannt ist, dann hat eine wesentliche Rolle dabei

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