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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Anker und ich schon wissen, dass Christdemokraten aus anderen europäischen Ländern mit dem Herrn Strauß nichts zu tun haben wollen. Das wird dann noch peinliche Situationen geben, aber das müssen sie dann selbst ausbaden, das ist nicht unser Bier.
    Ich will in dem gleichen Zusammenhang unterstreichen, was mein Freund Hans-Joachim Seeler vorhin als erster Sprecher über einen deutschen CSU -Kandidaten gesagt hat, der da nach Straßburg gewählt werden möchte. Ich will das ganz deutlich sagen: Europa ist kein Abschiebegleis für den abgetakelten Hochadel. Dieser Mensch hat empfohlen, für Notzeiten müssten alle Gesetze außer Kraft treten, ein einziger Mann müsse die ganze Gewalt ausüben; ich kann nur sagen, dieser Otto von Habsburg, der hat sie nicht alle. Ich kann aber auch seinem Parteivorsitzenden, dem Herrn Strauß, nicht zustimmen, wenn der gesagt hat, der liebe Gott sei kein Sozialist, denn er hätte die Menschen ungleich geschaffen und deshalb habe es auch keinen Sinn, von Chancengleichheit zu reden. Ich denke mit dem Kopf und fühle vom Herzen her, dass nichts wichtiger ist als Gleichheit der Chancen für alle Menschen in Deutschland und in Europa! Und es ist besonders wichtig, überall Gleichheit der Chancen auch herzustellen für die Frauen.
    Und ich will an dieser Stelle noch etwas einfügen, was mit der europäischen Wahl nichts zu tun hat und was ich überall, in jeder öffentlichen Rede sage. Im Sommer kommt ja wieder die Zeit, wo die jungen Leute aus der Schule kommen, und heute wird in vielen Familien schon darüber geredet, was die Jungs denn lernen sollen. Da wird schon gefragt, ob es hier eine Lehrstelle gibt oder da eine Lehrstelle, man rennt herum – es gibt Handwerksmeister, die sich Mühe geben, zusätzliche Lehrstellen zu schaffen, ebenso die Handwerkskammer und die Handelskammer; es gibt viele Betriebsräte und Personalräte, die sich Mühe geben, in ihren Unternehmen zusätzliche Lehrstellen zu schaffen, und die meisten der Jungs, die wirklich wollen, die kriegen auch eine Lehrstelle. Aber ich wende mich auch an die Mütter und an die Großmütter und an die Tanten, aber in Wirklichkeit auch an die Väter. Bitte kümmern Sie sich mit derselben Sorgfalt darum, dass auch Ihre
Töchter
eine Lehrstelle kriegen. Es wird nämlich nie etwas mit der Gleichberechtigung der Frauen, wenn an den 15 -jährigen Mädchen gesündigt wird, weil man sagt, die braucht nichts zu lernen, die heiratet ja doch. Die meisten von ihnen können sich das ganze Leben von diesen Fehlern nachher nicht mehr erholen.
    Und wenn wir für Gleichheit der Chancen sind in Europa, dann heißt das insbesondere auch, dass wir den bewussten Vertretern der Arbeitnehmerschaft, nämlich den Gewerkschaftern, einen Platz geben müssen im Europäischen Parlament, so, wie wir Sozialdemokraten das auch im Bundestag getan haben. Ich finde es unerhört, dass konservative und reaktionäre Kräfte hier in Europa das kritisieren und sich darüber lustig machen, dass auf der Liste der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hervorragende Vertreter der deutschen Gewerkschaftsbewegung kandidieren für das Europäische Parlament. Wenn aus allen europäischen Ländern hervorragende Gewerkschaftsvertreter dort in Straßburg zusammenkämen, dann wäre noch besser Gewähr dafür gegeben, dass dies weder ein Europa wird, in dem das große Geld zu sagen hat, noch dass es ein Europa wird, in dem die Gewerkschaften unterjocht werden durch die Einparteiendiktatur einer einzigen Partei.
    Wir Sozialdemokraten sind unter den politischen Parteien Deutschlands diejenigen, die am längsten für eine europäische Vereinigung eingetreten sind. Im Jahre 1925 , das war das Jahr, wo ich zur Schule kam, zwischen den beiden Weltkriegen, da haben die deutschen Sozialdemokraten, die damals für die Politik meiner Partei verantwortlich waren, die damaligen Delegierten eines Reichsparteitages, die haben damals die Vereinigten Staaten von Europa in das damalige Sozialdemokratische Parteiprogramm schon hineingeschrieben. Sonst hat es niemanden in Deutschland gegeben, keine politische Partei, die sich dafür eingesetzt hat. Heute treten wir nicht ein für die Vereinigten Staaten von Europa, aber für eine Gemeinschaft, die sich demokratisch selbst steuert, von neun Staaten, von neun Völkern. Und es werden ja demnächst die Griechen hinzukommen und, wie wir hoffen und wofür wir uns Mühe geben, auch die Spanier und auch die Portugiesen, dann werden es zwölf Völker

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